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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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ausnutzen können.«
    Cecilie hatte noch immer ein paar Probleme:
    »Stimmt schon, hört sich ziemlich vernünftig an. Aber von allem, was du gesagt hast, hören wir im Religionsunterricht nicht den leisesten Mucks.«
    Darauf ging Ariel nicht ein. Lieber sagte er etwas ganz anderes:
    »Wenn Gott all das nur erschaffen hätte, um sich aufzuspielen, wäre er ganz schön egozentrisch. Es gibt an die hundert Milliarden Galaxien im Himmelsraum, und in jeder Galaxis finden wir an die hundert Milliarden Sonnen. Da kannst du dir ja denken, wie viele Planeten und Monde es gibt - von den Asteroiden ganz zu schweigen. Auch wenn es sehr viele Engel gibt, können wir nicht behaupten, wir hätten zu wenig Tummelplatz. Und über zu wenig Zeit können wir uns ja auch nicht beklagen.«
    »Nein, wirklich nicht. Aber ich gönne sie euch.«
    »Und wir halten das Universum zusammen, Cecilie. Gott hat zwar niemals Raben auf seinen Schultern sitzen gehabt, aber er hatte immer schon ganze Heerscharen von Engeln.«
    Cecilie bohrte jetzt mit der Spitze des einen Skistocks im Schnee herum.
    »Wenn du über das Ganze ein Buch schreiben würdest, könntest du bestimmt einen oder zwei Nobelpreise bekommen«, stellte sie fest.
    »Warum zwei?«
    »Einen für Theologie und einen für Astronomie. Falls die beiden dann nicht zusammengelegt würden. Und schlimmstenfalls würdest du den Nobelpreis für Phantasie bekommen. Den hättest du wirklich verdient.«
    Ariel lachte.
    »Ich möchte aber wirklich nicht in Konkurrenz zu solch ernsten Wissenschaftlern treten. Sie meinen, sie könnten mit Mikroskopen und Teleskopen alle Geheimnisse der Natur entschleiern. Und sie glauben nur an das, was sie wiegen und messen können. Aber sie verstehen doch alles nur stückweise. Sie begreifen nicht, daß sie durch einen Spiegel auf ein dunkles Wort schauen. Ein Engel kann doch nicht vermessen oder gewogen werden. Und es bringt auch nichts, einen Spiegel mit dem Mikroskop zu untersuchen. Da ist es schon besser, wenn man ein wenig Phantasie anwendet.«
    Cecilie bohrte tiefer und energischer im Schnee herum.
    »Ich würde auch gern zwischen den Asteroiden Himmel und Hölle springen. Ich würde auch gern auf dem Mond Ballett tanzen oder mich an einen lustigen Kometen klammern, der durch das Weltall saust. Denn das ist alles im Himmel, sagst du.«
    »Ja?«
    »Viele Menschen glauben, daß wir nach dem Tod in den Himmel kommen. Stimmt das?«
    Ariel seufzte:
    »Ihr seid jetzt im Himmel. Hier und in diesem Moment. Ich finde, ihr solltet aufhören, euch zu streiten und zu prügeln. Es ist wirklich kein gutes Benehmen, sich vor Gottes Angesicht zu prügeln.«
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Ihr kommt und geht, geht eurer Wege und kommt. Das machen auch die Sterne und die Planeten.«
    »Blabla!«
    Cecilie bohrte den Stock in den Boden.
    »Bist du böse, Cecilie?«
    Sie wußte, daß der Engel recht hatte. Aber sie fand auch, sie hatte ein Recht, gerade jetzt etwas böse zu sein. Sie sagte:
    »Du erzählst mir immer wieder, daß die Menschen aus Fleisch und Blut sind. Aber was aus Fleisch und Blut ist, kann kein ewiges Leben haben, hast du gesagt. Das finde ich sehr traurig, denn auch ich würde gern ein paar tausend Jahre zwischen den Asteroiden Himmel und Hölle spielen und dann zwei Millionen Jahre lang Ferien auf einem exotischen Planeten in einer fernen Galaxis machen. Deshalb will ich jetzt unbedingt wissen, ob wir ein ewiges Leben haben.«
    Sie schlug sich die Hand vor den Mund. Woher waren ihr bloß all die Worte gekommen?
    Ariel sagte:
    »Niemand hat >ewiges Leben<, die Engel im Himmel zumindest nicht. Denn Engel >leben< nicht, deshalb spüren wir nichts, deshalb werden wir auch nicht erwachsen. Darüber haben wir doch schon gesprochen.«
    Cecilie starrte den Schnee an.
    »Ich finde es ziemlich blöde, wenn ihr jammert, daß ihr nicht lebt, während ihr in alle Ewigkeit zwischen Sternen und Planeten umherfliegt.«
    »Wie du im Schlaf an fernen Stränden umherfliegst«, erwiderte Ariel. »Stell dir vor, dein ganzes Leben wäre ein Traum!«
    Cecilie zuckte mit den Schultern.
    »Wenn der Traum in alle Ewigkeit weitergehen würde und dabei einigermaßen lustig wäre, hätte ich lieber den Traum als das Leben. Was würdest du überhaupt vorziehen: wenige Jahre Menschenleben oder ein Engelleben in alle Ewigkeit?«
    »Weder du noch ich haben so eine Wahl. Deshalb ist es überhaupt kein Thema. Und es ist bestimmt besser, ein einziges Mal in den Himmelsraum

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