Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort
hinauszublicken als überhaupt nichts zu erleben. Wer noch nicht erschaffen ist, hat schließlich auch keinen Anspruch darauf, je erschaffen zu werden.«
Cecilie dachte über Ariels letzte Worte nach. Dann überlegte sie sich das Ganze noch einmal. Schließlich sagte sie:
»Aber vielleicht würden sie lieber nicht erschaffen werden als nur für kurze Zeit zu leben. Wenn sie nicht erschaffen würden, wüßten sie ja nicht, was sie versäumen.«
Ariel antwortete nicht darauf. Plötzlich jagte er in die Luft und spähte zum Haus hinüber.
»Es ist drei Uhr«, sagte er. »Wir müssen uns beeilen, sie werden gleich wach.«
Cecilie sauste den Hügel hinunter. Neben ihr flatterte der Engel Ariel. Daß die Bäume dicht nebeneinander standen, spielte keine Rolle, denn Cecilie konnte in der Loipe aufrecht stehen, und Ariel huschte durch die Stämme hindurch wie durch Nebelfetzen. Bald wanderten sie den letzten Hang vor der Scheune hinauf.
Ariel zupfte Cecilie an der Kapuze und sagte:
»Den Rest schaffen wir nicht mehr zu Fuß.«
»Wirklich nicht?«
Aber Ariel hatte auch keine Zeit mehr zu antworten. Er packte Cecilie am Anorak und zog sie in die Luft. Einen Moment später flogen sie durch das geschlossene Fenster und standen mitten in Cecilies Zimmer.
Die Fensterscheibe war unversehrt, Cecilie auch. Aber sie hatte noch immer die Skier an ihren Füßen. Schmelzwasser sickerte über den Boden.
»Was sie wohl sagen werden?« flüsterte sie und zeigte beschämt auf Skier und Fußboden.
»Ich mach das schon«, sagte der Engel Ariel.
Cecilie schnallte die Skier ab, riß sich die Kleider vom Leib, streifte ihr Nachthemd über und kroch ins Bett. Sie sah zu, wie der Engel in einem Irrsinnstempo ihre Kleider zusammenfaltete und zurück in den Schrank legte. Er lehnte Skier und Stöcke an die Wand. Dann hauchte er Skier und Boden zweimal an, sofort waren Wasser und Schneematsch verschwunden. Nichts konnte noch verraten, daß Cecilie einen Ausflug im Mondschein gemacht hatte.
»Spitze!« sagte Cecilie und schlief ein.
A ls sie die Augen aufschlug, saß ihr Vater auf dem Stuhl vor ihrem Bett.
»Wie spät ist es?« fragte sie.
»Sieben.«
»Sitzt du schon lange hier?«
»Nur ein paar Stunden ...«
Erst jetzt fiel ihr die nächtliche Skitour wieder ein. Sie sah sich im Zimmer um. Nichts wies darauf hin, daß sie ihre Skier benutzt haben könnte.
Vielleicht war es ja gar nicht letzte Nacht passiert. Vielleicht waren seither viele Tage vergangen, von denen Cecilie nichts wußte.
Sie fühlte sich schlapper denn je. Ob die Skitour mit Ariel daran schuld war?
»Ich fühl mich überhaupt nicht wohl«, sagte sie.
Cecilies Vater nahm ihre Hand.
»Es geht dir ja auch nicht so gut.«
»Welches Datum haben wir heute?«
»Den 22. Januar.«
»Fast ein Monat seit Heiligabend.«
Er nickte.
»Bald kommt Mama mit der Spritze.«
»>Mit der Spritze.<«
»Ja, sie ist gerade im Badezimmer.«
»Ich habe das alles verdammt satt.«
Er drückte ihre Hand.
»Das ist doch klar«, sagte er nur.
Sie versuchte, zu ihm hochzublicken.
»Wenn ich soweit bin, will ich Astronomie studieren.«
»Das ... das ist bestimmt sehr spannend.«
»Jemand muß endlich alles herausfinden.«
»Wovon redest du?«
»Ich bin doch krank, Papa ...«
»Das stimmt.«
» ... aber ihr anderen seid diejenigen, die nicht mehr mitkommen. Ich meine, jemand muß doch herausfinden, wie alles zusammenhängt. So kann das doch nicht mehr weitergehen.«
»Die Wissenschaft macht immer neue Fortschritte .«
»Glaubst du an Engel?«
»Warum willst du das wissen?«
»Glaubst du an Gott?«
Er nickte.
»Du doch sicher auch?«
»Ich weiß nicht ... wenn er bloß nicht so doof wäre. Hast du gewußt, daß er auf ungefähr jeden Asteroiden einen Engel gesetzt hat? Wenn sie wollen, können sie sich da bis in alle Ewigkeit amüsieren. Sie brauchen sich nicht mal die Zähne zu putzen oder die Nägel zu schneiden. Andere Engel sitzen auf großen Kometen, die im Affenzahn um die Sonne jagen. Und sie blicken zur Erde hinunter und wüßten zu gern, was das für ein Gefühl ist, ein Mensch aus Fleisch und Blut zu sein .«
»Ich glaube, jetzt phantasierst du.«
»... während Gott der Allmächtige sich bequem zurücklehnt und uns wie Seifenblasen durch die Gegend bläst. Nur, um sich vor den Engeln im Himmel aufzuspielen.«
»Das tut er bestimmt nicht.«
»Warum bist du dir da so sicher? Wenn er nun ein riesengroßer Mistkerl ist?«
»Wir können nicht alles verstehen,
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