Durch Himmel und Hoelle
entschuldigte sich und sagte geheimnisvoll: »Meine liebe Miss Demarice, heute nacht ist eine Prophezeiung, die mir eine Zigeune- rin machte, wahr geworden, und ich bin Euch außerordentlich dankbar dafür.«
Elysia belächelte diese rätselhafte Bemerkung. Sie verstand über- haupt nichts, aber sie war zu müde, um nachzufragen. Sie erhob sich leise von der Tafel, nachdem sie mit dem Essen fertig war, und ver- ließ den Raum, ohne die beiden Herren, die versunken in ihr Kar- tenspiel an einem kleinen Tisch saßen, zu stören. Als Elysia die Holztreppe hinaufstieg, hörte sie die Eingangstür des Gasthofes aufgehen. Sie blickte über die Schulter und sah einen rundlichen Herrn eintreten, der seinen regennassen Mantel auf eine schmale Bank an der Wand warf, nach dem Wirt schrie und sich dann den beiden Herren näherte.
Elysia ging den dunklen Gang entlang, an einigen Türen vorbei, bis zu ihrer eigenen, wo Tibbitts, wie er ihr gesagt hatte, ihre Tasche
verstaut hatte, trat ein und schloß leise die Tür. Sie war müde und völlig gefühllos vor Erschöpfung. Sie legte ihr Kleid ab, zog ihr Nachthemd an und setzte sich dankbar auf das Bett.
Sie hatte nicht geplant, die Nacht in einem Gasthof zu verbrin- gen, weil sie geglaubt hatte, die Postkutsche würde direkt nach Lon- don fahren. Nach einer Weile holte sie ihren kostbaren Geldschatz hervor, der sehr schnell schwand. Sie hatte fünf Pence für eine Meile bezahlt und außerdem dem Kutscher und der Aufsicht auf dem Kutschbock, der die Kutsche vor Räubern schützen sollte, ein Trinkgeld geben müssen. Morgen mußte sie für ihr Essen, das Zim- mer und den Rest der Reise zahlen. Sie hatte gehofft, ihr Geld würde reichen, bis sie in London ankam. Aber es war zweifelhaft, daß sie ein Zimmer bezahlen konnte, bis sie eine Anstellung gefunden hatte. Gut, darüber würde sie sich Sorgen machen, wenn sie in Lon- don war.
Elysia wollte gerade unter die Decke kriechen, als jemand an die Tür klopfte. Sie öffnete sie einen Spalt und sah Tibbitts mit einem kleinen dampfenden Becher in der Hand stehen.
»Das schickt Euch Sir Jason, Miss«, sagte er und reichte ihn ihr. »Es soll Euch aufwärmen und einen guten Schlaf schenken, soll ich Euch sagen.«
»Vielen Dank«, murmelte Elysia und nahm den warmen Trunk entgegen, »und bitte, dankt Sir Jason sehr herzlich von mir.«
Sie schloß die Tür, wärmte ihre Hände an dem Becher und dachte dabei, daß sie vielleicht zu voreilig gewesen war. Vielleicht waren nicht alle Londoner Gentlemen Wüstlinge, vor denen man Angst haben mußte. Elysia trank das wohlschmeckende, mit Rum verfei- nerte Gebräu ganz aus und spürte, wie es wohlig durch ihren halb- erfrorenen Körper floß. Ihr war ein wenig schwindelig, als sie sich ins Bett legte. Das muß der Rum sein, dachte sie verwirrt. Sie war eben an Alkohol nicht gewöhnt, aber jetzt war ihr warm und woh- lig. Elysia schlüpfte unter die Decke und schlief tief und fest ein.
Ich traf ein Mädchen einst im Ried, An Schönheit reich, ein Elfenbild, Ihr Haar war lang, ihr Fuß war leicht Und ihr Aug' war wild.
Keats
5. K APITEL
Elysia fühlte sich als stünde alles auf dem Kopf. Milchige Nebel- schwaden woben sich langsam durch ihre Gedanken.
Hübsches Kind, schönes Kind
wenn wir erst beisammen sind,
brauchst du nicht zu spülen, Boden putzen, darfst immer nur dich selber putzen, brauchst nicht Schwein noch Stall zu misten, darfst auf weichen Kissen sitzen,
sticken, nähen, Säume litzen,
Erdbeern, Zucker und Sahne stiebitzen.
Erdbeeren? Jetzt gab es keine, aber sie mochte sie gern mit Sahne und Zucker. Sie kicherte.
Kleine Polly Masche sitzt mitten in der Asche, Wärmt ihre kleinen Zehlein Die Mutter kam und schimpfte, Und schlug die kleine Tochter, Weil's neue Kleidchen hin war.
Welches neue Kleid? Sie hatte schon lange keine hübschen neuen Kleider mehr gehabt. Es wäre schön, Erdbeeren mit Sahne in einem hübschen, neuen Kleid zu essen. Ooooh... ihr Kopf schmerzte. Was war denn eigentlich los mit ihr? Für die Kinderreime war sie doch zu alt. Sie hörte den Regen an die Scheiben pochen, sie würde zum Spielen nicht hinausgehen können.
Regen, Regen geh doch fort, Geh an einen andern Ort.
Der Regen trommelte immer lauter gegen das Glas, und Elysia machte verschlafen ihre Augen auf und starrte auf die Tropfen, die wie kleine Feenbäche die Scheiben hinunterliefen. Elysia schloß wieder die Augen und versuchte, noch einmal den Traum einzufan- gen, aber er entschwand,
Weitere Kostenlose Bücher