Durch Himmel und Hoelle
gutbestückte Bi- bliothek mit den Wänden voller Bücherregale und der Wendel- treppe, die sich zu einem kleinen Raum mit großen, bequemen Stühlen hochwand. Ein breites Fenster erstreckte sich bis zum Bo- den, durch das reichlich Licht zum Lesen strömte. Elysia hatte diese Schatzkammer erst vor ein paar Tagen entdeckt, und jetzt ver- brachte sie die meiste Zeit damit, die schön gebundenen Bände zu lesen, die sie aus den Regalen nahm. Morgens las sie im Bett, bis man ihr Frühstück brachte, denn sie wachte immer noch früh auf, da sie nach den Jahren bei Tante Agatha verlernt hatte, faul im Bett liegen- zubleiben. Später am Tag saß sie dann still auf der kleinen Galerie über der Bibliothek, sehr darauf bedacht, außer Sichtweite zu schar- fer Augen zu sein.
Elysia hatte der Luxus des Lesens fast so sehr gefehlt wie das Rei- ten. Lesen war die einzig ruhige Beschäftigung, die sie wirklich ge- noß. Agatha hätte es ihr sicher verboten, wenn sie dazu bei ihr Gele- genheit gehabt hätte. Agatha war überzeugt, daß Bücher ein Werk des Teufels waren und eine Zeitverschwendung — sie setzten den Leuten nur unnötige Flausen in den Kopf, die gar nicht schicklich waren.
Aber jetzt konnte Elysia nach Herzenslust alle Bücher, die sie wollte, lesen. Nie zuvor hatte sie eine so große Auswahl Bücher ge- sehen, und viele von ihnen würde man natürlich als sehr unschickli- chen Lesestoff für junge Mädchen betrachten. Aber Elysia hatte zu- sammen mit ihrem Bruder Ian einen Hauslehrer geteilt, und deshalb war sie weit gebildeter als andere Frauen. Sie hatte nicht nur die griechischen Klassiker gelesen, sondern auch viele populäre Ro- mane des achtzehnten Jahrhunderts, wie zum Beispiel Robinson Crusoe, Gullivers Reisen und sogar Fieldings Tom Jones.
In Lord Trevegnes Bibliothek fand sie all ihre Lieblingsbücher, einschließlich der gesammelten Werke Shakespeares und die jungen modernen Romantiker: Byron, Coleridge, Keats und Shelley, die
gerade erst öffentliche Anerkennung fanden. Sie war überrascht und aufgeregt gewesen, als sie diese Romantiker in Lord Trevegnes Bibliothek entdeckte. Er war schließlich, wie er selbst zugab, ein Zyniker, aber wie Elysia annahm, mußte wohl auch er Zugeständ- nisse machen, um den Bestand seiner Bibliothek zu vervollkomm- nen. Außerdem kannte er sie alle persönlich und mußte sie schon um der Freundschaft willen hier aufstellen - besonders da die Bü- cher alle mit persönlichen Widmungen der Autoren für den Mar- quis versehen waren.
Elysia lehnte ihre Stirn an die kalte Scheibe und fragte sich, wo Lord Trevegne wohl heute morgen war. Mit einem Schulterzucken nahm sie den schmalen Band Liebessonnette von Shakespeare, setzte sich vor den Kamin und begann zu lesen. Die Tür ging auf, und Dany segelte herein, die Haushaltsschlüssel klimperten an ih- rem molligen Bauch.
»Ach, da seid Ihr ja, Lady Elysia. Ihr habt Eurer Frühstück heute morgen gar nicht angerührt, und ich dachte, wir kriegen endlich wieder ein bißchen Fleisch auf diese Knochen.«
»Ich hatte heute früh keinen Appetit, Dany«, erwiderte Elysia und schloß ihr Buch, ohne einen einzigen Blick auf die gedruckten Worte geworfen zu haben.
»Na, dann werden wir Euch ein besonders gutes Lunch zuberei- ten müssen, was?« sagte Dany und musterte besorgt das blasse Ge- sicht ihrer jungen Herrin.
»Haben Sie Lord Trevegne gesehen?« fragte Elysia scheinbar des- interessiert und strich eine Falte in ihrem Kleid glatt, wodurch sie die Erleichterung in Danys Augen verpaßte, als dieser klar wurde, was Elysia bedrückte - zumindest war es nichts Körperliches.
»O ja, heute ganz früh am morgen, und geknurrt hat er wie ein Bär, der aus dem Käfig will«, sagte sie vorwurfsvoll und strich dabei mit dem Finger über den Kaminsims, um zu sehen, ob auch gut staubgewischt war. »Und froh bin ich, daß er fort ist.«
»Wohin ist er denn?« fragte Elysia überrascht.
»Reitet irgendwo auf seinem Besitz herum mit diesem großen, schwarzen Teufel von Pferd.«
»Er ist also ausgeritten?« fragte Elysia voller Neid und wünschte, sie könnte auch auf einem so kräftigen Pferd wie dem Rappen von Lord Trevegne durch die kühle Morgenluft reiten.
»So ein bösartiges Tier gibt's kein zweites Mal! Dank dem Herrn in seiner grenzenlosen Gnade, daß ihn dieses Teufelsroß noch nicht umgebracht hat!« schimpfte Dany.
»O Dany«, kicherte Elysia. »Es ist ein wunderschönes Pferd. Und dieses eine Mal wünschte ich, ich wäre
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