Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
Lebendiges. Die einzigen Geräusche waren das Summen eines Kühlschranks, mein Atmen, mein Herzschlag, das Klicken der Tasten unter meinen Fingern. Draußen kratzten Äste an den Fenstern hoch über meinem Kopf. Ein Zug pfiff. Ein Hund. Zirpen. Frösche.
Keine Autohupen. Keine Verkehrsgeräusche. Im Umkreis von Kilometern kein lebender Mensch.
Mein Symphatikus sorgte für Spitzenwerte beim Adrenalinspiegel. Ich machte viele Fehler, schrak bei dem kleinsten Geräusch hoch. Mehr als einmal sehnte ich mich nach Boyds Gesellschaft.
Um sieben war ich mit Farrell, Odell, Tramper und Tucker fertig. Meine Augen brannten, der Rücken schmerzte, und ein dumpfer Kopfschmerz sagte mir, dass mein Blutzucker im Keller war.
Ich kopierte meine Dateien auf Diskette, schaltete den Laptop aus und ging Annes Fax holen.
Obwohl ich neugierig war auf diesen Sir Francis aus dem achtzehnten Jahrhundert, war ich zu müde, zu hungrig und zu nervös, um objektiv sein zu können. Ich beschloss, ins High Ridge House zurückzufahren, Boyd auszuführen, mit Crowe zu reden und dann die Broschüre in der Bequemlichkeit und Sicherheit meines Betts zu lesen.
Ich sammelte eben die Seiten zusammen, als ich ein Geräusch hörte, das klang wie knirschender Kies.
Ich erstarrte und lauschte.
Reifen? Schritte?
Fünfzehn Sekunden. Dreißig.
Nichts.
»Mach dir nicht in die Hose«, sagte ich laut.
Durch die Anspannung wurden meine Bewegungen fahrig, und ich ließ einige Blätter fallen. Als ich sie vom Boden aufhob, fiel mir auf, dass eins sich vom Rest unterschied. Die Schrift war größer, der Text in Spalten unterteilt.
Ich blätterte die anderen Seiten durch. Annes Anschreiben. Das Titelblatt der Broschüre. Der Rest war Text, jeweils zwei Broschürenseiten pro Blatt, fortlaufend durchnummeriert.
Dann fiel mir die Pause zwischen den zwei Übermittlungen wieder ein. Konnte diese einzelne Seite ein separates Fax sein? Ich schaute sie mir an, fand aber keine Absenderkennung.
Ich ging mit dem Stapel in mein Büro, steckte Annes Material in meine Aktentasche und legte das einzelne Blatt auf den Schreibtisch. Als ich es las, schnellte mein Adrenalinpegel noch weiter in die Höhe.
Die linke Spalte enthielt Codenamen, die mittlere Klarnamen. Neben einigen Namen standen Jahreszahlen, die eine unvollständige dritte Spalte bildeten.
Ilus Henry Arien Preston 1943
Khaffre Sheldon Brodie 1949
Omega A.A. Birkby 1959
Narmer Martin Patrick Veckhoff
Sinuhe C.A. Birkby
Itzmana John Morgan 1972
Arrigatore F. L. Warren
Rho William Glenn Sherman 1979
Chac John Franklin Battle
Ometeotl Parker Davenport
Nur ein Name kam mir unbekannt vor. John Franklin Battle.
Oder kannte ich ihn doch? Wo hatte ich den Namen schon gehört?
Denk nach, Brennan. Denk nach.
John Battle.
Nein. Das war es nicht.
Franklin Battle.
Keine Reaktion.
Frank Battle.
Der Amtsrichter, der uns den Durchsuchungsbefehl verweigert hatte!
Würde ein kleiner Amtsrichter als Mitglied überhaupt in Frage kommen? Hatte Battle das H&F-Anwesen geschützt? Warum?
Und warum lag das jüngste Datum mehr als zwanzig Jahre zurück? War die Liste unvollständig? Warum?
Dann ein erschreckender Gedanke.
Wer wusste, dass ich hier war?
Allein.
Wieder erstarrte ich und horchte auf den schwächsten Hinweis auf die Anwesenheit eines anderen. Ich nahm ein Skalpell zur Hand und huschte aus meinem Büro in den Autopsiesaal.
Sechs Skelette starrten in die Luft, Finger und Zehen gespreizt, die Unterkiefer stumm neben den Schädeln. Ich kontrollierte die Computer- und Röntgenabteilungen, die Personalküche, das provisorische Konferenzzimmer. Mein Herz hämmerte so laut, dass es die Stille zu übertönen schien.
Ich steckte gerade den Kopf in die Herrentoilette, als mein Handy das dritte Mal klingelte. Vor Schreck hätte ich beinahe aufgeschrien.
Eine Stimme, sanft wie ein Sommerwind.
»Du bist tot.«
Dann nichts mehr.
31
Ich rief McMahon an. Nichts. Crowe. Dasselbe. Ich hinterließ Nachrichten: sieben Uhr achtunddreißig. Fahre von Alarka zum High Ridge House. Rufen Sie mich an.
Dann dachte ich an den leeren Parkplatz, die einsame Landstraße und tippte Ryans Nummer ein.
Ein anderes Bild. Ryan mit dem Gesicht nach unten auf einer eisigen Einfahrt. Damals in Quebec hatte ich ihn auch zu Hilfe gerufen. Und er wurde angeschossen.
Ryan ist hier nicht zuständig, Brennan. Und nicht verantwortlich.
Statt auf »Senden« drückte ich auf »Abbrechen«.
Meine Gedanken schnellten hin und her
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