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Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan

Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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eine Angst, wie ich sie bis jetzt nur selten erlebt hatte.
    Mein Gott, bitte.
    Die Welt um mich herum versank, während ich die Namen überflog. Anderson. Beacham. Bertrand. Caccioli. Daignault. Larke sagte etwas, aber seine Worte drangen nicht zu mir durch.
    Eine Ewigkeit später gaben meine Zähne die Unterlippe wieder frei, und ich atmete auf.
    Weder Katy Brennan Petersons noch Lija Feldman waren auf der Liste.
    Ich schloss die Augen und atmete tief durch.
    Als ich sie wieder öffnete, sah ich mich fragenden Blicken gegenüber. Ohne jede Erklärung gab ich die Liste zurück, und das Gefühl der Erleichterung wurde bereits überdeckt von schlechtem Gewissen. Meine Tochter war am Leben, aber die Kinder anderer lagen tot auf einem Berg. Ich wollte mich an die Arbeit machen.
    »Was soll ich tun?«, fragte ich Larke.
    »Earl hat das Leichenschauhaus unter Kontrolle. Fahren Sie zurück und arbeiten Sie bei der Bergung mit. Aber sobald die Transporte beginnen, brauche ich Sie hier.«
     
    Wieder vor Ort, ging ich direkt zu einem Dekontaminations-Anhänger und zog Maske, Handschuhe und Overall an, wodurch ich eher aussah wie eine Astronautin als wie eine Anthropologin. Ich nickte dem Wachposten zu, überwand die Barrikade und begab mich direkt zu der provisorischen Sammelstelle, um mich auf den neuesten Stand bringen zu lassen.
    Die genaue Lage jedes beflaggten Gegenstands wurde mit Hilfe einer Technik namens Total Station in ein CAD-ähnliches Programm eingegeben. Die Positionen von Flugzeugteilen, persönlicher Habe und menschlichen Überresten würden später auf einem virtuellen Gitternetz grafisch dargestellt und ausgedruckt werden. Da diese Vorgehensweise viel schneller und weniger arbeitsintensiv war als das traditionelle System der Schauplatzmarkierung mit Schnüren und realen Gitternetzen, hatte die Entfernung der Überreste bereits begonnen. Ich eilte hinaus auf das Trümmerfeld.
    Die Sonne senkte sich schon über die Baumwipfel, und zarte Schatten überzogen das Schlachtfeld wie ein Spinnennetz. Man hatte Klieg-Scheinwerfer aufgestellt, und der Verwesungsgeruch war stärker geworden. Ansonsten hatte sich in der Zeit, die ich abwesend gewesen war, wenig verändert.
    In den nächsten drei Stunden half ich meinen Kollegen beim Etikettieren, Fotografieren und Einpacken von dem, was von den Passagieren von TransSouth Air 228 noch übrig war. Vollständige Leichen, Gliedmaßen und Torsos kamen in große Leichensäcke, Fragmente in kleine. Die Säcke wurden dann hügelaufwärts geschafft und in den Kühllastern gelagert.
    Es war warm, und ich schwitzte in Overall und Handschuhen. Fliegenschwärme, die vom verfaulenden Fleisch angezogen wurden, umschwirrten mich. Einige Male hatte ich beim Zusammenkratzen von Eingeweiden oder Hirnmasse mit Übelkeit zu kämpfen. Doch nach einer Weile waren Nase und Bewusstsein abgestumpft. Ich bemerkte gar nicht, dass der Himmel sich rötete und die Scheinwerfer ansprangen.
    Dann kam ich zu dem Mädchen. Sie lag mit dem Gesicht nach oben, die Beine waren ab der Mitte der Schienbeine nach hinten gebogen. Ihr Gesicht war bereits angeknabbert, und die nackten Knochen leuchteten rot im Sonnenuntergang.
    Ich richtete mich auf, schlang die Arme um den Bauch und holte ein paar Mal tief Luft. Einatmen, ausatmen. Einatmen, ausatmen.
    O Gott. War ein Sturz aus dreißigtausend Fuß Höhe denn nicht schon genug? Mussten auch noch wilde Tiere entwürdigen, was übrig blieb?
    Diese Kinder hatten getanzt, Tennis gespielt, waren Achterbahn gefahren, hatten ihre E-Mails gelesen. Sie hatten die Träume ihrer Eltern verkörpert. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt würden sie nur noch gerahmte Fotos auf geschlossenen Särgen sein.
    Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter.
    »Zeit für eine Pause, Tempe.«
    Earl Bliss’ Augen spähten mich durch einen Schlitz zwischen Kappe und Maske an.
    »Ich bin in Ordnung.«
    »Machen Sie eine Pause. Das ist ein Befehl.«
    »Okay.«
    »Mindestens eine Stunde.«
    Auf halbem Weg zur Kommandozentrale der NTSB blieb ich stehen, weil ich das Chaos fürchtete, das ich mit Sicherheit dort vorfinden würde. Ich brauchte Ruhe und Heiterkeit. Leben. Vogelgezwitscher, huschende Eichhörnchen und Luft, die nicht nach Tod stank. Ich machte kehrt und ging auf den Wald zu.
    Als ich am Rand des Trümmerfelds entlangging, entdeckte ich eine Lücke zwischen den Bäumen und erinnerte mich daran, dass Larke und der Vizegouverneur auf ihrem Weg vom Hubschrauber an dieser Stelle aus dem Wald

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