Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
schlossen sich darum. Ich verdrehte den Körper und schlug blindlings zu.
Ich hörte das leise Krachen von Stein auf Knochen, dann das metallische Klirren von Metall auf Granit.
»Blöde Kuh.«
Er rammte mir die Faust ans rechte Ohr. In meinem Schädel explodierte ein Blitz.
Er ließ meinen Knöchel los und tastete nach seiner Waffe. Ich riss den Ellbogen nach hinten und traf ihn am Unterkiefer. Seine Zähne krachten aufeinander, sein Kopf schnellte zurück.
Ein Kreischen wie von einem verwundeten Tier.
Ich drückte mit all meiner Kraft, und sein Knie rutschte von meinem Rücken. In weniger als einer Sekunde war ich auf den Knien und kroch auf die Taschenlampe zu. Er fand sein Gleichgewicht wieder, und wir sprangen gleichzeitig. Ich bekam die Lampe zu fassen.
Ich schwang sie, so fest ich konnte, und traf ihn an der Schläfe. Ein dumpfer Knall, ein Grunzen, und er kippte nach hinten. Ich schaltete die Lampe aus, sprang auf die Bäume zu und kauerte mich hinter eine Kiefer.
Ich rührte mich nicht. Ich blinzelte nicht. Ich versuchte, vernünftig zu denken.
Renn nicht in den Wald. Dreh ihm nicht den Rücken zu. Wenn er sich bewegt, kannst du vielleicht an ihm vorbeischlüpfen, zum Inn zurücklaufen, um Hilfe schreien.
Tödliche Stille, unterbrochen nur von seinem Keuchen. Sekunden vergingen. Vielleicht waren es Stunden. Mir war noch schwindelig von dem Schlag gegen den Kopf, ich konnte Zeit, Raum und Entfernung nicht einordnen.
Wo war er?
Eine Stimme aus Bodennähe. »Ich habe die Waffe gefunden, Miss Brennan.«
Ein einzelner Schuss zerriss die Stille.
»Aber wir beide wissen, dass ich sie jetzt, da Ihr Köter aus dem Weg ist, nicht mehr brauche.«
Seine Stimme drang wie unter Wasser zu mir.
»Ich werde Sie dafür bezahlen lassen. Wirklich bezahlen.«
Ich hörte ihn aufstehen.
»Ich habe ein Halsband, das ich Ihnen zeigen möchte.«
Ich atmete tief ein, um den Kopf klar zu bekommen. Er kam mit der Garotte auf mich zu.
Im Augenwinkel ein Funkeln. Drei Lichtsplitter tanzten auf mich zu. Oder bildete ich mir das nur ein?
»Stehen bleiben!« Eine raue, weibliche Stimme.
»Fallen lassen.« Eine männliche.
»Stopp!« Eine andere männliche Stimme.
Dicht neben mir blitzte eine Mündung in der Dunkelheit auf. Zwei Schüsse knallten.
Aus der Richtung der Stimmen wurde das Feuer erwidert. Das Klirren einer Kugel, die von einem Felsen abprallte.
Ein dumpfer Knall, das Ausstoßen von Luft. Das Geräusch eines Körpers, der an einer Felswand hinunterglitt.
Laufende Füße.
Hände an meinem Hals, meinem Handgelenk.
»– Puls ist stark.«
Über mir Gesichter, verschwommen wie eine Fata Morgana in der Sommerhitze. Ryan. Crowe. Deputy Namenlos.
»– Krankenwagen. Alles okay. Wir haben sie nicht getroffen.«
Statisches Rauschen.
Ich versuchte, mich aufzusetzen.
»Bleiben Sie liegen.« Sanfter Druck auf meine Schultern.
»Ich muss ihn sehen.«
Ein Lichtkegel wanderte zu der Felswand, an der mein Angreifer, den Rücken am Stein, die Beine ausgestreckt, bewegungslos lehnte. Langsam beleuchtete der Schein Füße, Beine, Torso, Gesicht. Ich wusste, wer er war.
Ralph Stover, der nicht mehr so glückliche Besitzer des Riverbank Inn, der mich nicht in Primroses Zimmer hatte lassen wollen. Das Kinn vorgestreckt, starrte er blicklos in die Nacht, und Hirnmasse sickerte langsam auf einen Fleck im Fels hinter seinem Kopf.
33
Am Freitag bei Tagesanbruch verließ ich Charlotte und fuhr durch dichten Nebel nach Westen. Der wabernde Dunst lichtete sich, als ich auf den Grat des Eastern Continental Divide hochfuhr, und verschwand kurz vor Asheville ganz.
In Bryson City verließ ich den Highway 74, fuhr den Veterans Boulevard hoch, vorbei an der Abzweigung zum Fryemont Inn, bog nach rechts in die Main ein und parkte vor dem alten Gerichtsgebäude, das jetzt ein Seniorenzentrum war. Einen Augenblick blieb ich noch sitzen, sah zu, wie das Sonnenlicht auf seiner kleinen, vergoldeten Kuppel glitzerte, und dachte an die Senioren, deren Knochen ich ausgegraben hatte.
Ich stellte mir einen großen, schlaksigen Mann vor, blind und fast taub; eine zerbrechliche alte Frau mit schiefem Gesicht. Ich stellte mir vor, wie sie vor vielen Jahren über genau diese Straßen gegangen waren. Ich wollte sie in den Arm nehmen, ihnen sagen, dass ihnen jetzt endlich Gerechtigkeit widerfahren würde.
Ich dachte auch an diejenigen, die in der TransSouth Air 228 umgekommen waren. So viele Lebenswege, die eben erst begonnen hatten.
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