Durch Zeit und Raum
schlimmsten Träumen. Aber vielleicht werden sich unsere Träume als stärker erweisen.«
»Ja, Uralter«, erwiderte Madoc; doch er dachte dabei an die schlanken Geschosse, die aus dem Himmel gefallen waren, an die seltsamen Wolkenpilze, die er im Spiegelbild gesehen hatte, und an die Feuerstürme – und ihn schauderte. Einmal noch wagte er es, in die Pfütze zu schauen: da lächelte ihm nur der Abglanz der Mondscheibe entgegen.
Der Mond glitt hinter die Bäume, um sich dort, für wenige Augenblicke, der Sonne beizugesellen. Die Sterne tanzten ihre verschlungenen Himmelskreise. Das Volk vom Anderen Ende des Sees erwartete Gwydyr. Er hatte seine Krone eingebüßt – und mit ihr die Macht.
Madoc hielt Zyll eng umschlungen. Er weinte im Schlaf; unter seinen geschlossenen Lidern wuchsen die Tränen und benetzten die Wimpern.
Zyll hielt Madoc eng umschlungen. Ohne ihn zu wecken, küßte sie ihm die Tränen von den Augen.
»Komm!« befahl Gaudior.
Charles Wallace stand neben dem Einhorn und blinzelte überrascht. »War alles nur ein Traum?« Er schaute zum Ufer, wo dunkle Wellen ans dunkle Ufer schlugen; er schaute zum Felsen: der war leer.
Gaudior atmete silberne Bläschen aus, die um seine Nüstern tanzten. »Du warst in Madoc und tief in seinem Wann.«
»Madoc, der Sohn des Owain, des Königs von Gwynedd. Der Madoc aus meinem Buch! Und hält sich nicht hartnäckig die These, daß bereits lange vor den Wikingern unter Erik dem Roten walisische Seefahrer an der amerikanischen Küste gelandet sind? Man begründet das doch damit, daß es Indianer mit blauen und grauen Augen gibt…«
»Das solltest du jetzt eigentlich wissen«, feixte Gaudior. »Du warst doch in Madoc.«
»Alles kommt mir so unwirklich vor.«
»Die Wirklichkeit in jenem Wann war eben ganz anders«, sagte Gaudior. »Für Madoc gab es jedenfalls keinen Grund, an ihr zu zweifeln.«
»Auch nicht, als die Kränze plötzlich in Flammen standen?«
»Rosen können sich leicht entzünden. Und ihr Feuer ist rein und reinigt.«
»Und das Spiegelbild, das Madoc in der Pfütze sah, war es eine – eine Projektion?«
Das Licht in Gaudiors Horn begann zu flackern. »Gwydyr stand auf der Seite des Bösen; das machte ihn für die Projektionen der Echthroi empfänglich.«
»Dann war dieser furchterregende Säugling nur eine Projektion dessen, was die Echthroi heraufbeschwören und wahrmachen wollen?«
»Ich kenne mich bei diesen Projektionen selbst nie so recht aus«, gestand Gaudior.
»Und dann kam das andere Kind.« Charles Wallace versuchte, sich das Bild wieder zu vergegenwärtigen. »Das mit den blauen Augen; die Antwort auf all die Gebete; das Neugeborene, das den Frieden bringt. So wäre also auch diese andere Wirklichkeit möglich?«
»Alles ist so verwirrend und verworren«, sagte Gaudior und schüttelte seine Mähne, »weil du und ich in völlig anderen Dimensionen denken.«
Charles Wallace fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie schon in Megs Dachkammer. »Es steht alles irgendwo in diesem Buch… Warum kann ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern?«
Das Einhorn blieb ihm die Antwort schuldig.
»Es ist ein Buch gegen den Krieg und erzählt die Legende von Madoc und Gwydyr, die aus Europa kamen, aus Wales, zu uns, nach Amerika. Aber da war noch mehr… Es will mir einfach nicht einfallen…«
»Dann laß es sein«, schlug Gaudior vor.
Charles Wallace preßte die Stirn an die silberne Flanke des Einhorns und überlegte laut: »Was wissen wir bis jetzt? Daß ein walisischer Prinz namens Madoc mit seinem Bruder Gwydyr in die Neue Welt kam. Und daß dieser Madoc hier Zyll vom Windvolk geheiratet hat. – Gaudior! Könnte es sein, daß ich damit, daß ich Madoc eigentlich ganz unbeabsichtigt die Rune gegeben habe, ich meine: weil ich doch in Madoc gewesen bin… daß ich damit ein Soll-Sein geändert habe?«
Das Einhorn erwiderte bloß: »Das ist alles sehr kompliziert.«
»Oder kannte Madoc die Rune bereits selbst? Aber wie denn, wenn sie doch aus Irland und vom Heiligen Patrick stammt?«
Gaudior reckte das Haupt und bleckte in einer furchteinflößenden Grimasse sein mächtiges Gebiß, beschränkte sich dann aber darauf, das Maul weit zu öffnen und wie ein Verdurstender den Wind zu trinken.
Charles Wallace schaute sich um, und als er das tat, ging ein Zittern durch die Landschaft – so, wie das Spiegelbild in der Pfütze sich getrübt und wieder geklärt hatte —, und sie veränderte sich. Der See verschwand, und Charles
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