Durchgebrannt - Roman
gehörig anmotzen, sagen, ich solle auf der Stelle meine Eltern anrufen, drohen, mich nie wieder irgendwohin mitzunehmen, und mir schließlich eine satte Strafe aufbrummen -- irgendwas Blödsinniges, Langwieriges, zum Beispiel am Ende der Reise alle Zeltplanen von Dreck und Grashalmen befreien.
Das wäre okay. So wüsste ich wenigstens, woran ich bin. Ich müsste den Gedanken, den Lea vorhin ausgesprochen hat, nicht weiterverfolgen. Ich wäre ein bestrafter Rebell, aber immer noch ein stolzer.
Aber mich selbst zu verraten bringe ich auch nicht. Stattdessen gehe ich zum Gegenangriff über. Ich reiche Peter die achtzig Euro und sage: »Sarah hat übrigens heute Geburtstag. Hast du ihr gratuliert? Ihr ist das bestimmt wichtig. Sie steht doch so auf dich.«
Peters Augenlider flackern. Er ist nervös. »Da bin ich wegen der Vorbereitung der Fahrt noch gar nicht zu gekomm-«
»Siehst du.«
Peter merkt, dass er nicht durch meine Verteidigung kommt. Rasch wechselt er das Thema. »Ich hab gehört, ihr habt Quads ausgeliehen. So was muss mit uns abgesprochen werden. Schon allein wegen der Unfallgefahr. Es hat wohl auch prompt eine gefährliche Situation gegeben.«
Lennart, die miese Kröte.
»Das war überhaupt nichts. Da war nur jemand eifersüchtig, weil er nicht eingeladen wurde mitzufahren.«
»In einem Sportverein sollten ja auch Fairness und das Miteinander gelten.« Peter richtet die Worte über meinen Kopf hinweg an meine Kumpels. »Ihr wisst, wovon ich rede. Hier wird keiner ausgeschlossen, ist das klar?!«
Ich höre ein Murren und stelle mir ein Rudel knurrender Straßenhunde vor. Auch Peter merkt, dass es keinen Sinn hat, Lennart mit Gewalt integrieren zu wollen. Er steckt meinen Wisch wieder ein und brummt: »Jetzt macht euch zur Abwechslung mal nützlich! Es könnte zum Beispiel jemand Philipp beim Grill helfen.«
»Glück gehabt«, raunt Nils mir zu. »Ich dachte schon, deine Eltern hätten Peter angerufen und du wärst geliefert.«
»Nö. Die denken wahrscheinlich, ich bin nach Hause gefahren und sitze vorm Fernseher.«
»Stimmt. Meine Eltern würden auch erst meinHandy oder deine Eltern anrufen, bevor sie sich an ganz fremde Leute wenden. Aber machen würden sie schon was. Du kennst ja meinen Vater.«
»Natürlich.« Jetzt bricht die Verbitterung über die Dickfelligkeit meiner Eltern heraus. Nils' Vater nervt mit seinen Nörgeleien, seinem ehrgeizigen Wunsch, Nils auf dem Gymnasium zu halten, seiner ewigen Kontrolliererei. Aber die Nichtbeachtung meiner Eltern ist genauso schlimm. Sie tut auf andere Weise weh. Ich dachte, wenn ich plötzlich verschwinde, fehle ich ihnen, dann merken sie vielleicht, dass es mich auch noch gibt. Aber da habe ich mich wohl getäuscht. »Meine Eltern sind richtige Assis. Ihr vierzehnjähriger Sohn ist seit einem ganzen Tag spurlos verschwunden und sie interessiert das nicht die Bohne. Ich wäre doch das perfekte Opfer für einen Triebtäter. Wenn der meine Leiche in den Garten legt, fahren die glatt noch mit dem Rasenmäher drum herum.«
Nils macht mir wilde Zeichen, dass ich die Klappe halten soll.
Zu spät merke ich, dass nicht nur die Freunde mich hören, sondern auch Lennart. Und der guckt doch genau so, als hätte er vor, das Gehörte bei der nächsten Gelegenheit gegen mich zu verwenden, oder?
Wütend über meine eigene Dummheit, über Lennart und die ganze Welt stürme ich davon.
Da ich nicht weiß, wohin sonst, steuere ich das Waschhaus an. Mein Herz rast, als hätte ich einen Marathon hinter mir. Meine eigenen Lügen liegenmir im Magen wie verdorbenes Essen. Ich denke an faule Aale, die sich in meinem Magen winden.
Das kann aber auch an den vielen fremden Haaren liegen, die sich im öffentlichen Waschbecken gesammelt haben. Jemand hat seine Kulturtasche auf der Ablage vergessen; sie ist umgekippt, die Zahnbürste herausgerutscht und mit der Borstenseite ins Waschbecken gefallen. Ich starre sie eine Weile an, bevor ich den Hahn aufdrehe und meinen Kopf unter den Kaltwasserstrahl halte.
Das beruhigt fürs Erste. Ich werde mich jetzt nicht mehr so aufführen. Ich werde geduldig warten, bis meine Eltern sich bequemen, zum Telefon zu greifen. Mein Plan war, bei ihrem Anruf das Donnerwetter über mich ergehen zu lassen, möglichst zu gucken, dass die Trainer nichts mitkriegen, dann in Ruhe weiter die Fahrt zu genießen und bei der Heimkehr zu hoffen, dass der schlimmste Ärger schon verraucht ist. Das muss funktionieren. Andere Jugendliche widersetzen sich
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