Durchgebrannt - Roman
ich bin sicher, dass ich auch gar nicht gemeint bin. Was momentan unter dem Tisch zwischen den Freundinnen abgeht, ist amüsant, aber faszinierender ist es, Lennart zuzusehen, dem unerbittlichen Kartoffelsalatvernichter. Noch ein paar Gabeln und er kann meinem Walzenonkel Konkurrenz machen. Er kaut gar nicht richtig, schlingt das Zeug nur so runter.Der unverdaute Brei wird wie von einem Baulaster in die Speiseröhre gekippt.
»Wann hörst du eigentlich mal auf zu fressen?« Meine Frage scheint ihn zu erstaunen. Die nächste Frage erstaunt meine Freunde. Als ich mich ihnen wieder zuwende, denke ich laut: »Was der sich wohl wünschen würde, wenn ihm eine Fee begegnet?«
»Was für eine Fee?«, fragt Lea.
Ich trinke einen Schluck Cola. »Eine Fee eben«, sage ich, als wäre es das Normalste von der Welt. »Ihr wisst schon: Man rettet sie und hat drei Wünsche frei.«
»Wie kommst du denn darauf?«, will Nils wissen.
»Ich hatte heute Morgen das Vergnügen.«
»Witzig! Und was hast du dir gewünscht?« Die Mädchen hängen beide an meinen Lippen.
Scheinbar gelangweilt zähle ich die Antworten an den Fingern ab.
»Erstens schon achtzehn sein, also machen zu können, was ich will. Zweitens einen Ferrari zu fahren oder meinetwegen auch ein Quad. Drittens . . .« Ich zögere. War vielleicht doch keine so gute Idee, die Geschichte anzuschneiden.
»Drittens?«, hakt Ricarda nach. »Ist das auch schon in Erfüllung gegangen?«
»Nein, daran arbeite ich noch.«
»Aha?« Sie schenkt mir einen tiefen Blick.
Nils ahmt sie nach und beugt sich zu mir herüber. »Aha, wir hören?«
Lea schweigt. Irgendwo klingelt ein Handy, aber es ist wieder nicht meins. Doofe, dickfellige Säcke. Vor mittlerweile neun Stunden habe ich das Fee-Mädchen getroffen. In neun Stunden kann man einen Jungen entführen, ein Haus ausrauben, einen Mord begehen, alle Spuren verwischen und ohne Eile außer Landes fliegen. In neun Stunden kann man natürlich auch eine Krebspatientin notoperieren. Mist! Ich wünsche mir, dass meine Eltern jetzt endlich anrufen. Dass sie mich zusammenfalten, bis der Handyakku leer ist. Dass ich danach meine Ruhe habe. Und hierbleiben und unbeschwert Spaß haben kann.
Ich wünsche mir, dass ich Lea jetzt nicht verletzen muss.
»Wahrheit oder Pflicht!« Ricarda beugt sich vor.
»Eine Freundin«, sage ich knapp und kämpfe mit aller Macht dagegen an, eine rote Bombe zu kriegen.
Ricarda ist begeistert, sie erahnt die volle Antwort und sagt lächelnd: »Das lässt sich ja vielleicht machen.«
Aber Lea links neben mir steht abrupt auf. »Hast du dir
irgendeine
Freundin gewünscht oder Ricarda?«
Es ist unfair, die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit ist immer ätzend. Bei mir zu Hause ist sie regelrecht verboten.
»Verrate ich nicht.«
»Feigling«, flötet Ricarda.
»Du bist wirklich ein Feigling«, verflucht mich Lea und stürmt davon.
»Was hat die denn?«, fragt Nils.
»Zickenalarm«, behaupte ich und schäme mich dafür.
Im nächsten Moment schwinden mir die Sinne, denn Ricarda beugt sich zu mir rüber und legt ihre Lippen auf meine. Wenn man für die Wahrheit immer so belohnt würde.
14
So erfüllt die Fee mir meinen dritten und letzten Wunsch.
»He, hey, jetzt geht's los«, sagt Nils.
Ferhad lacht verhalten. »Knutschen ist in der Jugendfreizeit verboten.«
Ich höre ihn nur noch wie aus der Ferne. Um mich herum klappert Geschirr, Menschen lachen, Handys klingeln -- meins nicht --, ich habe die Augen zu und blende alles aus. Ricarda küsst unheimlich gut, so gut, dass ich sicher bin, dass sie's nicht zum ersten Mal tut. Und wenn schon. Selbst wenn sie schon zwanzig Exfreunde haben sollte, Hauptsache ist: Jetzt küsst sie
mich
.
Im Hintergrund sehe ich, dass auch Eric und Nathalie mutig geworden sind und Hand in Hand aufstehen und hinter den Zelten verschwinden. Es ist eben der richtige Moment.
Ich mag auch Lea, aber gewünscht habe ich mir Ricarda. Ricarda ist die ideale Frau für einen Urlaubstraum. Jeder Reisekatalogmacher, der mit einem Foto unter Palmen werben will, würde sie engagieren.
Wir stehen gleichzeitig auf, laufen ein paar Meter von den anderen fort, verstecken uns hinter dem Waschhaus und knutschen wie wild. Ricarda ist richtig gierig, öffnet meinen Mund immer wieder, stürmt mit ihrer Zunge hinein, winkelt ein Bein an, drückt ihr nacktes Knie gegen meine Hüfte. Mann, die Frau ist noch heißer, als ich gedacht habe. Aber ich hab noch nie mit einem Mädchen . . .
Ein Fußball
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