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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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the wife of Peter Kuhn?»
    Sie bestätigte.
    Ich fragte sie, ob sie mir sagen könne, wo ihr Mann am Dienstag vor zwei Wochen, am zweiten Juni von acht bis vier Uhr morgens gewesen sei.
    Sie tat, als ob sie nicht verstehen würde. Ich wiederholte noch einmal laut und deutlich und fixierte dabei den Kuhn, der mich ängstlich anschaute.
    «He was at home.»
    «Are you sure?»
    «Oh yes, he showed me how his mother used to make an apple pie.» Sie begann zu plappern, während ich resigniert den Hörer sinken liess. Kuhn lächelte unsicher.
    «Stop it!» Wieder hatte ich gegen meinen Willen geschrien. Aber es funktionierte, die Frau verstummte. Ich fragte sie, welchen Tag wir heute hätten.
    Sie zögerte. «What weekday?»
    «Yes, Saturday, Sunday, Wednesday?»
    «Wednesday … yes, we have Wednesday today.»
    Ich legte auf.
    «Dein Alibi taugt nichts.»
    Auf Kuhns Stirn hatten sich Schweisstropfen gebildet. Es war unerträglich heiss in der Kabine.
    «Deine Frau hat keine Ahnung, welchen Wochentag wir heute haben.»
    Ich steckte mir eine Zigarette an und blies ihm den Rauch ins Gesicht. «Warum hast du Slavkovi ć abgeschlachtet – nur weil er dich hinausgeworfen hat?»
    Seine Augen tränten, er schüttelte verzweifelt den Kopf: «Ich war es nicht, ich hab ihn nicht getötet!»
    «Die Polizei hat Fingerabdrücke sichergestellt. Du bist geliefert, Junge.»
    Er sank vollends in sich zusammen und begann zu wimmern.
    «Reiss dich zusammen, Memme! Hör zu, ich geb dir drei Tage, bis dann legst du ein Geständnis ab, schriftlich! Du hinterlegst es bei Yvonne – du weisst schon, der Frau vom Spielsalon Orion. Wiederholen!»
    Er sah mich verständnislos an.
    «Ich hab gesagt, du sollst den Satz wiederholen!»
    «Ich soll ein …»
    «Nicht du sollst, du legst ein Geständnis ab!»
    «Ich lege bei Yvonne vom ‹Orion› ein Geständnis ab …»
    «Schriftlich, mit Datum und Unterschrift, in einem Couvert!»
    «In einem Couvert …»
    «Du hast von jetzt an drei Tage Zeit.»
    «Drei Tage …»
    «Genau.» Ich trat die Kippe auf dem Boden aus.
    «Wenn du brav bist, geh ich damit zur Polizei …» Ich gab meiner Stimme einen drohenden Unterton und staunte, wie gut mir das gelang: «Aber wenn ich bis dann nichts von dir höre, liefere ich dich der Witwe Slavkovi ć aus. Ist dir klar, was das bedeutet? Die braucht keine Beweise, der genügt, dass ich ihr deinen Namen nenn.»
    Ich stiess die Tür auf: «Und jetzt verschwinde.»
    Ich sah ihm hinterher, wie er sich auf der Bahnhofstrasse entfernte, in gebücktem, unregelmässigem Gang.
    Verflucht, der Kerl tat mir leid.
    Ich ging in die andere Richtung. In der Fussgängerunterführung, wo es sich jemand – solange ich denken kann – zur Pflicht gemacht hat, beständig für beissenden Uringeruch zu sorgen, zog ich die Brille und die Schirmmütze ab. Ich kam auf der anderen Seite des Seetalplatzes wieder an die Oberfläche und marschierte der Emme entlang heimwärts.
    Zwei Tage lang geschah nichts. Ich wunderte mich über die Nerven, die dieser Kuhn hatte. Offensichtlich versprach er sich etwas davon, wenn er möglichst viel der befristeten Zeit verstreichen liesse. Dabei hatte er gar keine Wahl. Was ich von ihm verlangte, kam im Grunde genommen einer Erpressung gleich.
    Insgeheim hegte ich Zweifel an seiner Schuld. Gewiss, Kuhn hatte ein Motiv, und sein Alibi hatte sich als nicht stichhaltig erwiesen. Der Mann war fraglos ein Rassist, einer, der den Rausschmiss durch Slavkovi ć als besonders demütigend empfinden musste. Aber war er auch ein Mörder? War er fähig, eine solche Tat zu begehen?
    Kuhn hatte andere Möglichkeiten, seinen Hass auszuleben – mit Unterschriftensammeln auf dem Sonnenplatz beispielsweise.
    Ich hatte mit Yvonne vereinbart, dass sie mich umgehend informierte, wenn das Couvert für mich abgegeben würde. Aus Angst, ihren Anruf zu verpassen, blieb ich die ganze Zeit zu Hause. Gegen Abend des zweiten Tags hielt ich es nicht mehr aus.
    Der Spielsalon befand sich im Parterre eines alten Wohn- und Gewerbehauses und war gegen die Strasse hin mit grossen Glasfenstern versehen, worauf der weiss-violette Schriftzug «Orion» zu lesen war. Er lag im Schatten der Kantonalbank unmittelbar am Seetalplatz, dem meistbefahrenen Verkehrsknotenpunkt der Zentralschweiz. Von hier gelangte man in die Innenstadt, ins Seetal, ins Entlebuch oder auf die Autobahn nach Hamburg oder Mailand.
    Während der Schulzeit hatten wir so manche Doppellektion Französisch zwischen die

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