Durst - Roman
sich nicht auf den Architekten abschieben – für die goldenen Türklinken war allein mein Verleger verantwortlich.
Brechbühl empfing mich mit schmerzhaftem Händedruck und führte mich auf den beschatteten Balkon im ersten Stock. Wir machten es uns auf den weissen Liegestühlen bequem, die mit blau-weiss gestreiften Kissen gepolstert waren. Er bot mir einen Aperitif an; ich bestand auf Leitungswasser.
Ich betrachtete die Aussicht: die mächtigen Bäume des Parks, der glitzernde Wasserstreifen, das jenseitige Ufer am Fuss sanfter Hügelketten – kontrastiert von einem wolkenlosen Sommerhimmel. Es wirkte, als hätte jemand ein Bild aus dem Fremdenverkehrsprospekt vergrössert und es vor die Wirklichkeit gehängt. Ich versuchte es mit Zigarettenrauch ein wenig zu trüben. Vergeblich. Vom Nachbargrundstück winkte das Rot-Weiss einer im Wind flatternden Fahne. Ein Raddampfer flötete und zog gleichmässig auf dem Wasserspiegel dahin. Ich hatte nie verstanden, wie man es an so einem Ort aushalten konnte.
Mein Verleger schwatzte und machte sich zwei Linien auf einem goldgefassten Spiegelchen zurecht. Er war gutgelaunt und war es erst recht, nachdem er sich das weisse Pulver mit einem Röhrchen – vergoldet auch das – unter den Rotz gemischt hatte. Ich war überzeugt, dass er das Zeug nur nahm, um das Leben im Bonzenghetto ertragen zu können.
Wenn ich mich recht erinnere, berichtete er von einer Segelfahrt mit Freunden. Sie mussten einige Tage irgendwo in der Karibik verplempert haben. Ich war höflich und mimte Interesse. Wobei es keine Rolle gespielt hätte, wäre ich unhöflich gewesen. Brechbühl liess sich ohnehin nicht vom Plappern abhalten, wenn er einmal damit begonnen hatte. Anderseits konnte es mich nicht daran hindern, meinen eigenen Gedanken nachzuhängen.
Als uns Dorothea zum Essen rief, liess ich mir gerade wortreich das Segeln am Wind – irgendwas mit Anluven – erklären, während ich mich fragte, ob dem Schweizer Demokraten der Mord zuzutrauen war. Sein Motiv: Rache. Er war von Slavkovi ć in Anwesenheit der Tänzerinnen gedemütigt worden. Hinzu kam, was Rosalia erzählt hatte: die Behauptung der Tänzerinnen, er habe abartige Wünsche. Abartige Wünsche … Das konnte bedeuten, dass er pervers veranlagt war. Und einem Perversen war ja durchaus zuzutrauen, dass er die Leiche seines Feindes verstümmelt und den Kopf als Zeichen des Triumphes aufspiesst. Das passte alles zusammen. Bis auf die Briefe. Sie fanden in diesen Überlegungen keinen Platz.
Wir setzten uns an den gedeckten Tisch im Esszimmer, worin dank der Klimaanlage für angenehme Temperatur gesorgt war. Es gab eine grosse Auswahl an Salaten, für Brechbühl und mich je ein Steak mit Kräuterbutter, das Dorothea so vorzüglich zuzubereiten verstand. Dorothea und ich assen schweigend und weitgehend geräuschlos, während Brechbühl mit Besteck und Geschirr klapperte, schmatzte und mit vollem Mund sprach.
Nach dem Essen gingen wir wieder auf den Balkon. Dorothea servierte Kaffee, Grappa und Gebäck. Sie nahm auf dem Liegestuhl zu meiner Linken Platz.
«Guido hat erzählt, du seist wieder am Dichten …»
Es war bestimmt an die dreissig Grad warm, aber sie trug um den Hals ein violettes Foulard. Ich hatte sie überhaupt noch nie ohne ein solches gesehen.
«Ja, ich bin an was Grösserem dran …»
«Er schreibt einen Krimi!», warf Brechbühl ein.
Dorothea sah mich erstaunt an.
«Was in die Richtung …»
«Ich hab ihm geraten, mal öppis Spannendes zu schreiben, öppis mit Action und so!», sagte Brechbühl in seinem breiten Berndeutsch.
Dorothea warf mir ihren Entwicklungshelferinnenblick zu und sagte an Brechbühl gewandt: «Sei doch still, du verstehst ja doch nichts davon!»
«Ich versteh sehr wohl was davon, nämlich, wenn ich mir die Verkaufszahlen anschaue. Man braucht nicht Literatur studiert zu haben, um zu wissen, was die Leute lesen wollen!», polterte er und klatschte sich auf die kräftigen Schenkel.
Dorothea presste die Lippen zusammen und zog die Augenbrauen hoch. «Du kennst ihn ja, er meint es nicht so … Erzähl, hast du wirklich vor, einen Kriminalroman zu schreiben?»
Ich führte irgendwas aus von mir schwebe nicht im eigentlichen Sinn ein Kriminalroman vor, sondern vielmehr die Bestandesaufnahme einer Gesellschaft, die sich mehr und mehr von ihrer Verantwortung gegenüber dem Einzelnen und Individuellen verabschiede und in eine Scheinwelt aus falschen Werten und Mythen flüchte, wodurch sie sich
Weitere Kostenlose Bücher