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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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auch denjenigen bewusst, die erst seit einigen Wochen hier sind. Sobald sie einmal in dieser anderen Realität angekommen sind, entzieht sich ihnen der Kontext, der sie noch in ihrer Heimat zu Todfeinden gemacht hatte.»
    Ich machte ein skeptisches Gesicht.
    «Diese Formulierung entspricht genau den Vorstellungen, die man sich im Westen von den Menschen des Balkans gemacht hat. Die Mär von der jahrhundertealten Feindschaft der verschiedenen Volksgruppen. Sie wurde dem Medienkonsumenten beharrlich als die universelle Antwort auf die komplexen Ereignisse im zerfallenden Jugoslawien vorgesetzt.»
    «Stimmt es etwa nicht? Wurde es in den letzten Jahren und nun erneut im Kosovo nicht tausendfach belegt?»
    Sie beschrieb mit der Brille, die sie immer noch in der Hand hielt, ausführende Kreise. «Sie lässt die gezielte Propaganda ausser acht, die von den Machthungrigen auf allen Seiten betrieben wurde. Vergessen Sie nicht, dieselben Leute, die gegen die ‹Volksfeinde› hetzten, machten zugleich miteinander Geschäfte. Wenn selbst die Menschen im Westen auf dieses historisierende Konstrukt hereinfallen, dann können Sie sich vielleicht vorstellen, wie leichtes Spiel die Opportunisten im eigenen Land haben.»
    Ich drückte die Zigarette aus, trank und stellte die Tasse wieder hin.
    «Verstehe. Sie wünschen also, dass ich die Sache weiterverfolge?»
    Sie lächelte zufrieden. «Genau.»
    «Dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie mir keine Informationen mehr vorenthalten.»
    Sie wollte etwas entgegnen, aber ich kam ihr zuvor: «Ihr Mann hatte Feinde – das kann Ihnen doch nicht entgangen sein!»
    «Worauf wollen Sie hinaus?»
    «Hat Ihr Mann sich mit jemandem gestritten?»
    «Davon wüsste ich nichts … Ich hab Ihnen …»
    Sie unterbrach sich und führte nachdenklich den Bügel an den Mund.
    «Was?»
    «Da war jemand, über den er sich in letzter Zeit oft beschwert hatte. Ein gewisser Herr Brun. Ich hab ihn gerade ein einziges Mal gesehen.»
    «Wann?»
    «Zu Beginn, als wir in die Schweiz gekommen sind.»
    «Und weiter?»
    «Er war so etwas wie der Förderer meines Mannes. Er hat Zoran das Kapital für das Reisebüro gegeben.»
    «Und dann hat er sich mit ihm entzweit?»
    «Erst vor einigen Wochen. Zoran war eines Abends sehr wütend nach Hause gekommen – der Mann sei ein Verräter und gehöre unter die Erde. Solche Sachen sagte er …»
    «Und das erzählen Sie mir erst jetzt?!»
    «Ich hielt es nicht für wichtig. Zoran konnte bei jeder Kleinigkeit in Rage geraten.»
    «Er sprach davon, ihn umzubringen!»
    «Bei uns drücken sich die Leute vom Land so aus», beschwichtigte sie.
    Ich sah sie prüfend an. Ich wurde nicht schlau aus ihr. Schliesslich war ich es, der den Blick abwandte.
    «Weshalb hat sich Ihr Mann mit Herrn Brun gestritten?»
    «Darüber wollte Zoran nicht sprechen. Ich vermute, Herr Brun wollte die Anzahlung zurück.»
    Ich dachte nach. «Können Sie sich vorstellen, dass es sich bei jener Person, die – wie sie sagen – über grossen Einfluss verfügt, um Herrn Brun handelt?»
    «Vielleicht …»
    «Aber Herr Brun hat doch kein Interesse am Tod ihres Mannes, wenn dieser ihm noch Geld schuldet …»
    Darauf hatte auch sie keine Antwort.
    Ich wusste nicht weiter. Ich trank aus und stellte die Tasse ab.
    «Ich erwarte, dass Sie mich umgehend informieren – falls Ihnen was einfällt, was mir bei meinen Ermittlungen von Nutzen sein könnte.» Ich hatte einen autoritären Ton angeschlagen. «Hören Sie, alles, auch wenn Sies durchaus als unwichtig betrachten.»
    Draussen brach die Sonne durch die erodierte Wolkendecke. Ich zog die Jacke aus und band sie mir um die Hüften.
    Frau Slavkovi ć s Überlegungen hatten mir für einen Moment neuen Auftrieb gegeben. Aber das verflog rasch. Als ich zu Hause ankam, war ich genau so frustriert wie zu Beginn des Tages. Ich legte mich hin und versuchte, ein wenig zu schlafen. Nach einer Stunde stand ich auf und machte mir Pasta mit Tomatensauce.
    Ich hatte gerade zu Ende gegessen, als das Telefon klingelte. Brechbühl meldete sich.
    «Hast du die Zeitung schon gelesen?»
    «Musst du mich daran erinnern …»
    «Ich hab gleich an dich gedacht. Wies aussieht, haben sie den Fall gelöst.»
    «Ich weiss, ich weiss …»
    «Was willst du jetzt machen?»
    «Keine Ahnung. Ich bin zur Zeit ein wenig konfus. Mein ganzes Projekt ist über den Haufen geworfen.»
    «Ist vielleicht auch besser so. Ich hatte mir nämlich Sorgen gemacht. So was kann schnell mal ins Auge

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