Durst - Roman
gehen.»
«Schon möglich. Aber es reut mich trotzdem. Die Story hatte wirklich was.»
«Schreib doch einfach wieder deine tiefsinnige Betrachtungsprosa. So schlecht fand ich das gar nicht.»
Die Formulierung hatte er dem Klappentext entnommen.
«Ah so?»
«Wirklich, ich hab gerade zuvor in deinem letzten Roman geschmökert. Die Szene, wo die Icherzählerin bei der Galgenmatte ihrem verschollen geglaubten Geschichtslehrer begegnet – köstlich, ich musste laut lachen!»
Um das zu veranschaulichen, brach er in Gelächter aus.
«Findest du diese Szene lustig?», fragte ich, nachdem er damit fertig war.
«Und wie! –Warum? Hab ich was falsch verstanden?»
«Na ja. Wenn du das lustig findest …»
Es trat eine Pause ein.
«Du kannst dir doch einen anderen Verlauf der Geschichte ausdenken – das sollte dir doch keine Schwierigkeiten bereiten.»
«Vielleicht. Aber ich bin mir nicht sicher. Irgendwas gefällt mir nicht.»
«Wie meinst du das?»
«So ein Gefühl … Als ob da was faul wäre. Solange ich Zweifel an der Sache hab, glaube ich, muss ich dranbleiben.»
«Was für Zweifel denn?»
«Der geständige Kosovo-Albaner. Ich weiss nicht, aber das passt so gar nicht zu dem, was ich bisher herausgefunden hab.»
Brechbühl meinte, meine dichterische Fantasie ginge wohl ein wenig mit mir durch.
Er konnte meinetwegen denken, was er wollte.
«Hältst du mich auf dem Laufenden, in Ordnung?»
«Mach ich. Du hörst von mir …»
Ich hatte Francesco versprochen, mit ihm ins Kino zu gehen, weil er mir seinen Spielzeugrevolver ausgeliehen hatte. Francesco war mein achtjähriger Nachbar, der mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester gleich nebenan wohnte. Er entschied sich für den Film «Blues Brothers 2000».
Wir besuchten die Fünf-Uhr-Vorführung im Kino ABC . Ich kaufte Francesco den grössten Becher Popcorn und machte mich auf zwei verdriessliche Stunden gefasst. Wider Erwarten amüsierte ich mich jedoch ganz passabel.
Nach der Vorführung wollte Francesco einen Hamburger essen gehen. Ich führte ihn zu einer Wurst- und Hamburgerbude an der Baselstrasse. «Dort gibt es die besseren Hackfleischbraten als beim Amerikaner.»
Francesco murrte, aber der Hamburger schmeckte ihm nicht schlecht. Vor allem konnte er sich nicht sattsehen an den seltsamen Gestalten, die hier verkehrten. Ich glaube, er fand sie zum Lachen und gleichzeitig ein wenig beängstigend, wie sie da mit eingezogenen Schultern und hohlen Kreuzen ihre heissen Bratwürste verschlangen.
Die Wurstbude gehörte zu einem Lokal, in dem Formationen wie «Die Teddybären» oder «Die Seefelder Buben» aufspielten. Vom Dach des platzähnlichen Unterstandes hingen die Kantonswappen der Schweiz. Die Örtlichkeit war ein origineller Beitrag zum multikulturellen Angebot der Baselstrasse.
Ich offerierte Francesco noch ein Getränk und mahnte gegen acht zum Aufbruch. Als wir bei der Haltestelle Centralplatz die Strasse überquerten, fuhr ein dunkelblauer BMW aus einem Parkplatz heraus und schoss direkt auf uns zu. Es gelang mir, Francesco auf das Trottoir zu stossen. Mich selbst streifte das Gefährt seitlich am Becken. Ich wurde gegen ein parkiertes Auto geschleudert und fiel zu Boden. Dort verharrte ich eine Weile in der Stellung, in der ich mich aufgefangen hatte. Dann stand ich auf und stellte fest, dass ich unversehrt war. Ich zitterte nur ziemlich greisenhaft mit den Händen.
Francesco stand am Trottoirrand und starrte mich mit aufgerissenen Augen an. Um ihm den Schrecken zu nehmen, rief ich: «Blues Brothers 2000!»
Unsere Blicke begegneten sich, und es vergingen einige Sekunden, bis wir in ein befreiendes Gelächter ausbrachen. Gut, meines klang ein wenig hysterisch, aber danach hatten wir den Vorfall schon fast wieder vergessen.
Ich setzte Francesco wohlbehalten bei seiner Mutter ab und wünschte einen schönen Abend. Ihre Einladung zum Nachtessen schlug ich höflich aus. Ich hörte, wie in meiner Wohnung das Telefon klingelte.
Als ich die Tür geöffnet hatte, waren die sechs Klingeltöne, die vor dem Einsetzen des Beantworters erklangen, bereits verhallt. Aber gleich darauf klingelte es erneut.
«Ja?»
Das Rauschen einer viel befahrenen Strasse.
«Hallo?»
«Lasse Sie Finger von Sache!»
«Wie bitte?»
«Nächste Mal mache Ernst! Wenn nicht Kind mit Sie!»
Dann wurde aufgelegt.
Adnan fand, ich würde übertreiben.
Wir hatten uns falsche Schnurrbärte unter die Nase geklebt, Perücken aufgesetzt und – um uns eine andere
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