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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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die Täter hätten einen Schlüssel gehabt, weil es keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen gebe.»
    Ich schluckte leer. «Keine Ahnung … Ich war noch gar nicht dort … Aber jetzt müssen Sie mir genau erzählen, was vorgefallen ist.»
    «Nun, Dragan wollte im Büro ein paar Sachen erledigen. Schon von aussen sah er, wie sich zwei unbekannte Männer am Computer zu schaffen machten. Er stellte sie zur Rede und wurde von einer dritten Person, die er nicht gesehen hatte, brutal niedergeschlagen. Er habe das Bewusstsein verloren und sei erst wieder zu sich gekommen, als die Polizei gewaltsam in den Raum eingedrungen sei.»
    «Unerhört. Und die Täter konnten fliehen?»
    «So ist es. Die Polizei, statt die Verfolgung aufzunehmen, brachte Dragan auf den Posten – für das Protokoll.»
    «Und? Konnte er Angaben zur Identität der Männer machen?»
    «Interessant, dass Sie mich danach fragen. Dragan hat gesagt, er habe die Papiere des einen gesehen. Ein Bosnier – der Name ist ihm aber entfallen.»
    Ich atmete auf. «Können Sie sich vorstellen, dass die Männer etwas mit dem Mord an Ihrem Mann zu tun haben?»
    «Das liegt für mich auf der Hand.»
    Ich versprach, der Sache nachzugehen.
    «Noch eine Frage: Hatte Ihr Mann Bekannte in Venezuela?»
    «In Venezuela? Nicht dass ich wüsste. Warum?»
    «Mir wurde da ein Hinweis zugespielt – nicht weiter von Bedeutung.»
    Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, las ich die Ansichtskarte noch einmal aufmerksam durch: «Dear Zoran. The children have had a pleasent crossing and are in good health. Best wishes» – die Unterschrift konnte ich nicht lesen. Auf der Briefmarke stand Venezuela, der Poststempel führte das Wort Maracaibo. Ich schlug im Atlas nach. Maracaibo war die nordwestlichste Hafenstadt von Venezuela.
    Der Brief der Gemeinde – eine erste Mahnung, die Steuererklärung einzureichen – unterschied sich von jenem, den ich letzte Woche erhalten hatte, nicht wesentlich. Da war noch das Schreiben des Amtsstatthalters, worin Slavkovi ć der Termin zur Vorladung mitgeteilt wurde, und ein Bettelbrief der serbischorthodoxen Kirche Zürich.
    Als Nächstes schaute ich mir das Pornoheftli an. Ziemlich üble Bilder. Obgleich die Fotomodelle – durchaus attraktive, junge Frauen – Anlass zu ästhetischen Aufnahmen gegeben hätten, schien es hier um etwas ganz anderes zu gehen. Ich fand, in diesen Bildern käme nicht nur eine erschreckende Lust an der Erniedrigung der Frau zum Ausdruck, sondern darüber hinaus eine Verachtung, die schon beinahe an psychopatischen Hass grenzte. Trotzdem ging das Betrachten dieser Darstellungen nicht ohne eine gewisse erregende Wirkung einher. Ich warf das Heft in den Abfalleimer.
    Schliesslich nahm ich mir Dragans Portemonnaie vor. Sein Führerausweis, gemacht in der Schweiz im Jahr fünfundneunzig, verriet mir seinen vollen Namen: Dragan Marti ć . Eine Fotografie einer Frau und die eines kleinen Jungen, eine Telefonkarte und der Mitgliederausweis des «Sportcentars» waren die ganze magere Ausbeute.
    Ich ging in die Küche und kochte Kaffee. Dann setzte ich mich hin und begann in der Zeitung zu lesen. Als ich zum Sport kam, klingelte das Telefon.
    «Ja?»
    «Hello, how are you?»
    Rosalia.
    «Yes, I’m fine.»
    Mir war, als ob ich das so schon mal erlebt hätte.
    «How about you?»
    Sie sagte, es ginge ihr auch gut.
    Da ich schwieg, kam sie gleich zur Sache. Sie wolle mich treffen, habe mir etwas Wichtiges zum Mordfall Slavkovi ć mitzuteilen.
    Obgleich ich den Eindruck hatte, sie bluffe nur, tat ich interessiert.
    «Not on the phone. I would like to look in your eyes, when I tell you the news.»
    Ich willigte ein und schlug das Restaurant Sonne vor. Wir einigten uns auf drei Uhr und beendeten das Gespräch.
    Diesmal kam ich rechtzeitig. Nichtsdestotrotz sass Rosalia bereits an einem Tisch. Sie lächelte, als sie mich erblickte. Ich setzte mich diagonal zu ihr, so dass wir einen dem Raum zugewandten Winkel bildeten.
    Die «Sonne» war ein Beleg für das Unvermögen der Achtzigerjahre, selbst mit modernster Bauweise über eine biedere Gemütlichkeit hinauszugehen. Vielleicht aber war das hier gar nicht die Absicht gewesen, und die überall im Lokal aufgestellten farbigen Tonhühner hätten dem Architekten helle Freude bereitet.
    Wir waren die einzigen Gäste bis auf zwei synchron plappernde Frauen am übernächsten Tisch und den Vierzigjährigen des Typs Nationalist mit Schwäche für exotische Frauen. Er sass an der Bar und liess

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