Durst - Roman
Rosalia nur kurz aus den Augen, um mich mit unappetitlichen Schweinsäuglein zu mustern.
Ich bestellte bei der blassen Deutschen ein Schnitzwasser.
«It’s nice to see you.» Rosalia neigte den Kopf zur Seite und verschlang mich mit ihren dunklen Augen.
Es gehe mir ebenso, der gemeinsame Tag sei sehr angenehm gewesen.
Ich sei so anders als die anderen Schweizer.
Wie denn, erkundigte ich mich.
Einfach anders, sie könne es nicht in Worte fassen.
Ich nahm an, dass sie mich im Vergleich zu den Freiern beurteilte; fasste es dennoch als Kompliment auf.
Die Kellnerin kam an den Tisch, fischte einen Untersatz aus dem Behälter, platzierte ihn umständlich, stellte das Glas darauf und entfernte sich mit schlurfenden Schritten. Sie schien sehr, sehr müde zu sein. Womöglich wollte sie uns einfach vermitteln, wie ungerecht es war, dass wir frei hatten, während sie arbeiten musste.
Rosalia meinte, in der Schweiz sei es gar nicht so kalt, wie es immer heisse. Sie erzählte von ihrer Heimat, vom Klima und der Vegetation, und ich versuchte vor meinem inneren Auge das Bild zu entwerfen: Rosalia im bunten Sarong, mit Blumenketten behängt unter einer Palme am makellosen Sandstrand. Mir gefiel, offen gestanden, das laszive Heidi besser.
«I will travelling on», sagte sie nach einer Pause.
Ich sah sie überrascht an und bemerkte im gleichen Moment die beiden Reisetaschen, die neben ihr auf der Bank lagen.
Ob sie denn im «Paradise» fertig sei.
Sie nickte.
Ich steckte mir eine Zigarette an und hielt ihr die Schachtel hin. Sie schüttelte den Kopf.
Wohin es denn gehe, ihre Aufenthaltsbewilligung sei ja noch für weitere drei Monate gültig.
Sie zog die Schultern hoch, wich meinem Blick aus. Dann verbarg sie das Gesicht hinter ihren schmalen Händen und begann zu weinen.
Ich fühlte, wie sich alle Augen auf unseren Tisch richteten. Der Lüstling, der ohnehin gaffte; die schläfrig an der Kasse lehnende Deutsche; die beiden Frauen, die dafür eigens ihr Gespräch unterbrachen. Es hatte wohl den Anschein, als machte mir Rosalia eine Szene – ich mochte es auf den Tod nicht leiden.
Ich streckte die Hand aus und tätschelte ihren linken Oberarm. Sie hatte eine zarte, kühle Haut, und ich streichelte sie ein wenig. Dazu murmelte ich tröstende Worte.
Nach einer Weile gingen die Hände auseinander – Rosalias Gesicht kam zum Vorschein. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und bemühte sich zu lächeln.
Ich klaubte meine brennende Zigarette aus dem Aschenbecher.
Rosalia entschuldigte sich – sie habe es mir nicht peinlich machen wollen.
Das sei schon in Ordnung, so was könne passieren.
Die Frauen nahmen ihr Gespräch wieder auf, und die Kellnerin, die begriffen hatte, dass es vorerst nichts mehr zu gucken gab, fuhr mit einem Lappen über die Ablagefläche. Nur der Tresensack würde wohl weiterhin gaffen, was konnte man da machen?
«Now would you like to tell me, what makes you so sad?»
Rosalias Versuch zu lächeln gelang zusehends, ihre Augen waren trocken. Beinahe mit Bedauern stellte ich fest, dass sich ihr Lidschatten nicht verwischt hatte. Ein Anblick, der mich mehr rührte als tausend dicke, kullernde Tränen.
Sie habe gestern ihren letzten Tag im «Paradise» gehabt. Nun habe sie ihr Studio räumen müssen, weil es ein anderes Mädchen brauche.
Ob denn das nicht üblich sei, warf ich ein, sie habe doch einen Vertrag.
Das schon, schluchzte sie, sie habe aber auch einen Vertrag mit ihrer Agentur gehabt, die sie während ihres Aufenthalts in der Schweiz an Nachtklubs vermittelte.
Gehabt, fragte ich.
Ja, gehabt – die Agentur habe sie fallenlassen, sagte sie mit tränenerstickter Stimme.
Wieder verbarg sie ihr Gesicht, und wieder begann ich sie zu streicheln und ihr zuzureden. Ich mochte es wirklich, wie sich ihre Haut anfühlte; und natürlich tat sie mir leid. Ich wurde dabei einfach nicht gern beobachtet.
Warum ihr die Agentur denn gekündigt habe.
Ich liess vorläufig meine Hand auf ihrem Arm liegen.
Dazu müsse sie weiter ausholen, sagte sie, nachdem sie sich wieder gefasst hatte.
Nur zu, ich hätte genug Zeit.
Sie strich sich über die Augen und erwiderte tapfer meinen Blick.
Die Geschäftsführerin sei ein guter Mensch, begann sie. Sie habe akzeptiert, dass sie ihren Slip jeweils anbehalten habe – das sei ihr gutes Recht, wenn sie trotzdem eine gute Show mache. Und das habe sie gemacht, viele Gäste seien ausschliesslich ihretwegen gekommen, setzte sie nicht ohne Stolz hinzu. Und
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