Durst - Roman
verunsicherten Blick zu. Dieser betrachtete versonnen seine Fingerspitzen und meinte: «Wir haben schon mal darüber gesprochen …»
«Ein Serbe kämpft für die Ehre eines Kosovo-Albaners, der wegen Waffenschmuggels im Knast sitzt? Euch ist einfach nicht mehr zu helfen!»
«Ich bin nicht Serbe, ich bin Schweizer wie du!»
Faruk stand auf und tat einen Schritt in meine Richtung. «Dir geht es doch auch um die Gerechtigkeit …»
«Ich werde dafür bezahlt!»
Er machte eine wegwerfende Handbewegung: «Von irgendwas müssen wir ja leben. Was ich sagen will: Du bist doch in deiner Tätigkeit als Schriftsteller grundsätzlich an der Wahrheit interessiert.»
Ich zog die Schultern hoch. «Weiss nicht … Normalerweise lüge ich meine Geschichten zusammen. Alles frei erfunden.»
Faruk zog eine enttäuschte Miene. Hätte nur noch gefehlt, dass er den Kiefer hängen liess …
«Nun denn. Hat mich gefreut. Danke fürs Bier und den Tipp.»
Ich klatschte die meine in Petars ausgestreckte Hand.
Faruk hielt mich am Arm fest und meinte: «Halt mich auf dem Laufenden, ja?»
Ich ging der Emme nach. Sie führte wenig Wasser, an gewissen Stellen stockte sie. Fast hätte man Erbarmen haben können, so verloren sah sie aus in ihrem tiefen, offenen Grab.
Die Gelegenheit bot sich bereits am nächsten Tag. Nach dem Mittagessen ging Rosalia Einkaufen. Ich stand am Wohnzimmerfenster, rauchte und beobachtete, wie zwanzig Meter tiefer Rosalias Scheitel, Schultern und Schuhspitzen das Haus verliessen, die Gerliswilstrasse hinaufgingen und dabei den ihnen zugedachten Platz in der Anatomie wieder einnahmen.
Zuerst nahm ich mir die Kommode vor. In der obersten Schublade lag ordentlich zusammengelegt ihre Unterwäsche. Ich griff unter die Höschen-, Büstenhalter-, Socken- und Strümpfebeigen, um festzustellen, ob sich darunter etwas verbarg. Ebenso verfuhr ich mit den weiteren drei Schubladen und ihrem Inhalt. Danach sah ich den Stapel Modezeitschriften durch – alle in englischer Sprache. Ich hob die Matratze an, durchsuchte die Taschen ihrer Jacken, prüfte den Inhalt ihres Necessaires und wollte schon aufgeben, als mir die Reisetaschen in den Sinn kamen, die wir im Einbauschrank verstaut hatten. Ich zog sie hervor und öffnete die Reissverschlüsse. In einer der Aussentaschen wurde ich fündig.
«Würdest du mir bitte erklären, was das zu bedeuten hat?!»
Rosalia war gerade dabei, den Einkauf auszupacken und in den Kühlschrank zu legen. Ihr Blick fiel auf die Blätter, die ich auf den Küchentisch geklatscht hatte. Sie erstarrte. Dann sah sie auf und schaute mich mit einer Mischung aus Furcht und Reue an. Für einen Augenblick wünschte ich, das alles wäre ein grosses Missverständnis.
«What did you say?», stotterte sie.
«Du kannst jetzt ruhig deutsch reden, Rosalia – oder soll ich Anita zu dir sagen?!»
Sie begriff, dass es zwecklos war. In die an ihr herunterhängenden Arme kam wieder Leben, sie schloss den Kühlschrank und liess sich am Küchentisch nieder.
«Also?!»
Sie löste den Blick von der Tischplatte und sagte: «Willst du dich nicht auch setzen?»
Ich kam ihrer Bitte nach und sah ihr fest ins Auge.
Sie fingerte an ihrem rosa Armbändchen und suchte nach den richtigen Worten: «Ich habs dir selber sagen wollen – glaub mir, ich war kurz davor, es zu tun …»
Sie sprach Zürichdeutsch, was aus ihrem Mund gar nicht mal so unschön klang.
«Du darfst das nicht falsch verstehen, bitte – ich wollte dir ja eigentlich helfen …»
«Helfen?! Du bist ein Spitzel der Leute, die Slavkovi ć s Tod auf dem Gewissen haben!» Ich ertrug ihren verzweifelten Blick nicht und fügte zum Fenster gewandt hinzu: «Also raus damit – wozu hast du meine Notizen kopiert?!»
«Lass mich von Anfang an erzählen … Und sei nicht so böse.»
Ich blickte immer noch nach draussen.
«Also … Wie du ja jetzt weisst, heisse ich in Wirklichkeit Anita Felder.» Sie räusperte sich. «Ich bin in Rapperswil aufgewachsen, bei Adoptiveltern. Wer meine leiblichen Eltern sind, hab ich nie herausfinden können. Alles, was ich weiss, ist, dass ich die Tochter einer Filipina bin, die mich als Einjährige zur Adoption freigegeben hat.»
Sie registrierte, dass ich mich ihr wieder zuwandte, während ich eine Zigarette anrauchte. «Darf ich mir eine nehmen?»
Ich gab ihr Feuer.
«Und weiter, mach den Sprung in die Gegenwart.»
«Ich hab das nur erwähnt, damit du die Hintergründe kennst … »
Sie hielt die Zigarette zwischen ihren
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