Durst - Roman
letzte Nacht erneut von starken Niederschlägen heimgesucht worden. Im Rückstau der Schwellen schwammen dicke Schaumwürste, zuweilen blitzten einzelne Blasen ölig im Sonnenlicht auf. Ich stand auf der verwitterten Betonplattform zwischen Kanal und Emme, hinterliess Spuren auf der glatten Oberfläche des angeschwemmten Sandes, rauchte und versuchte Ordnung in meine Gedanken zu bringen.
Es gefiel mir gar nicht, wie mir die Zügel zu entgleiten drohten. Ich hatte nie viel für Teamarbeit übrig gehabt. Als Schriftsteller war ich es nicht gewohnt, meine Entscheidungen in Absprache mit anderen zu treffen. Schreiben ist nun mal keine demokratische Angelegenheit.
Es wollte mir nicht einleuchten, warum das im Projekt Slavkovi ć anders sein sollte. Faruks Idealismus war mir suspekt, und Anita traute ich nicht. Wie lange würde sie ihre Redaktionskollegen zurückhalten können?
Anderseits, das war nicht von der Hand zu weisen, hatte ich ihr bereits einiges zu verdanken. Ihr war es nämlich gelungen, den Buchhalter ausfindig zu machen, der im vorgeschriebenen gesetzlichen Rahmen Slavkovi ć s Bücher geprüft und dabei auf Ungereimtheiten gestossen war. Sie habe sich glaubhaft als Assistentin des mit dem Fall beauftragten Staatsanwalts ausgegeben und ihm so einiges entlocken können.
Im Zusammenhang mit der Ankündigung des neuen Geldwäschereigesetzes hatten es offensichtlich einige Geschäftsleute, die mit Slavkovi ć in Verbindung gestanden hatten, mit der Angst zu tun bekommen. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft hatte diese Gesetzesänderung bei unserem Telefongespräch erwähnt. Demnach brauchten künftig im Geldtransfergeschäft tätige Personen eine behördliche Bewilligung. Slavkovi ć s Geschäftspartner hatten wohl befürchtet, er könnte diese Bewilligung wegen mangelnder Sorgfalt bei der Prüfung entgegengenommener Gelder nicht erhalten.
So sei beispielsweise der Verwaltungsrat einer Zuger Investmentgesellschaft, bei der Slavkovi ć die Mehrheitsbeteiligung hielt, von einem Tag auf den anderen zurückgetreten. Der Buchhalter vermute hinter der Adresse eine Briefkastenfirma, eine reine Scheingesellschaft zum Durchlauf dubioser Gelder. Weiter habe die Rechtmässigkeit einiger Geldsummen, die für den Transfer auf den Balkan bestimmt waren, nicht restlos begründet werden können. Der Buchprüfer soll in diesem Zusammenhang von Unregelmässigkeiten und gefälschten Papieren gesprochen haben.
Ich hatte Anita grünes Licht gegeben, mehr über diese ominöse Zuger Dobrex Holding und ihren Verwaltungsrat in Erfahrung zu bringen; notfalls auch mit Behilfe ihrer Redaktion. Ich verstand eindeutig zu wenig von den Feinheiten des Finanzwesens und war in dieser Hinsicht auf Unterstützung angewiesen.
Ich rollte den Zigarettenstummel zwischen Daumen und Zeigefinger, bis die Glut und die verbleibenden Tabakkrümel herausgefallen waren. Ich zertrat alles im feuchten Sand und steckte den Filter zur späteren Entsorgung in meine Jackentasche. Eine Staffel F / A -18-Flieger donnerte über den Ort hinweg. Ich blickte den Stahlpfeilen nach, bis sie hinter den Betonskelettbauten der Nylonfabrik verschwunden waren. Dann ging ich auf der nassen Wiese zum Steg hinauf, der die künstliche Landzunge über den unterirdisch geführten Kanal mit der Strasse verband.
Ich schwang mich aufs Velo und folgte der Emme unter dem Seetalplatz hindurch bis zum Reusszopf, wo sie sich dem sauberen Seewasser der Reuss anschloss. Von da an konnte ich mich bis in die Stadt hinein ans linke Reussufer halten.
Anita sass an einem Vierertisch vor dem Globus und sah mir zu, wie ich mein Velo an das schmiedeeiserne Geländer lehnte und abschloss. Wie ich an den Tisch herantrat, stand sie auf und begrüsste mich mit Küsschen links, rechts, links. Sie trug einen beigen Hosenanzug und die Haare straff zusammengebunden. Ich setzte mich neben sie.
«Sag mal, ist das wirklich die einzige Jacke, die du hast?»
Ich steckte mir eine Zigarette an und rückte ein wenig vom Tisch weg. «Wusste nicht, dass wir vereinbart hatten, uns als Banker zu verkleiden.»
«Banker …»
«Steht dir gut, trotzdem.»
Ich winkte den Kellner an den Tisch und bestellte.
«Möchtest du auch noch was?»
Anita sass vor einer leeren Tasse Kaffee.
«Bringen Sie mir ein Mineralwasser bitte.»
Der Kellner neigte sich ein wenig vor, dann drehte er sich um und verschwand im Lokal.
«Ich dachte, wir wollen beim Staatsanwalt einen seriösen Eindruck erwecken …»
«Lass das meine
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