Durst - Roman
mich eines Nachts die Geschäftsführerin zu sich ins Büro bat. Dort wurde ich von einem Mann erwartet, der sich in schlechtem Englisch nach dir erkundigte.»
«Nach mir?»
Rosalia – will heissen Anita – nickte: «Ja, er wusste von deinem Cabaretbesuch und dass wir zusammen geredet hatten. Anhand einer Fotografie konnte ihm die Geschäftsführerin sagen, mit welcher Tänzerin du dich unterhalten hast.»
Ich blickte ihr gebannt auf den Mund, während sie kurz verstummte.
«Er machte mir ein Angebot: Ich sollte mit dieser Agentur-Geschichte bei dir aufkreuzen. Er war überzeugt, du würdest darauf hereinfallen. Ich müsse nur ein wenig das hilflose Geschöpf spielen – dann würdest du bestimmt Mitleid haben und mich bei dir aufnehmen. Er scheint dich ziemlich gut zu kennen …»
Sie lächelte ironisch.
«Du hast also gar nicht richtig geweint.»
Sie schüttelte den Kopf.
«Ich sollte also für ihn herausfinden, ob du nach der Einschüchterung mit dem BMW aufgegeben hast – und falls nicht, wie weit du im Fall Slavkovi ć vorangekommen bist. Als Gegenleistung würde er sich um eine Niederlassungsbewilligung und eine gut bezahlte Anstellung in einem Betrieb ausserhalb des Rotlichtmilieus kümmern. Ich fand, das sei eine weitere heisse Spur, und erklärte mich damit einverstanden. Über den Mann selber hab ich leider bis jetzt nichts herausfinden können.»
«Sein Name?»
«Er hat sich mir als Jimmy vorgestellt.»
«Alter? Aussehen? – Wie sah er aus?»
«Schätze so um die Dreissig. Unauffälliger Typ, mittelgross, nicht dick, nicht dünn – trägt eine Brille.»
«Und weiter?»
«Ich kann ihn dir wirklich nicht genauer be…»
«Ich mein in deiner Erzählung – wie gehts weiter.»
«Das weisst du ja. Ich bin bei dir eingezogen. Ich traf mich ein paar Mal mit Jimmy und erzählte ihm, ich hätte keine Notizen gefunden. Ich sei mir sicher, du hättest deine Ermittlungen eingestellt. Damit gab er sich zufrieden.»
«Und die Kopien, wozu hast du die gemacht?»
«Für meine Recherchen.»
«Und das soll ich dir glauben?»
«Es lag doch in meinem eigenen Interesse, die Kopien für mich zu behalten. Solange diese Leute dich in Ruhe lassen, kannst du unbehelligt weiter ermitteln.»
Mein Blick glitt über die braunen Ziegeldächer der alten Fabrikhallen. «Aber woher wissen die von meiner Zusammenarbeit mit Faruk, wenn nicht von dir?»
«Das liegt doch auf der Hand!» Anita schwenkte die Kopien der Notizen. «Sie haben dich mit ihm zusammen gesehen, als ihr euch im Panoramapark getroffen habt.»
Der Mann, den Faruks Fahrer bewusstlos geschlagen hatte.
«Und jetzt?», fragte ich.
«Das liegt an dir.»
«Ich weiss nicht …»
«Ich mach dir ein Angebot.»
Ich versuchte, sie möglichst spöttisch anzuschauen.
«Wir arbeiten zusammen.»
«Warum sollte ich?»
«Weil ich dir eine grosse Hilfe bin. Ich hab auch schon einiges über Slavkovi ć s Transaktionen herausgefunden.»
«Das wäre?»
«Sag ich erst, wenn du dich bereit erklärst, mit mir zusammenzuarbeiten.»
«Ich hätte grosse Lust, dich vor die Tür zu setzen.»
Sie lächelte. «Das wäre nicht sehr geschickt von dir. Ich beschütze dich vor Jimmy und seinen Hintermännern – solange ich ihnen weismache, du hättest deine Nachforschungen aufgegeben.»
Ich steckte mir eine Zigarette an und spürte, wie mich dabei Anita von der Seite beobachtete.
«Also gut – einverstanden. Unter zwei Bedingungen: Du gibts keine Informationen mehr an die Redaktion weiter, bis der Fall gelöst ist; ich will nicht, dass irgendwas an die Öffentlichkeit dringt …»
«Aber ich muss doch …»
«Dann eben nicht.»
«Also gut, ich behalt es für mich.»
Ich fixierte sie. «Bist du sicher?»
«Ja, ich verspreche es.»
Ich inhalierte und blies den Rauch an die Decke.
«Und zweitens führe ich die Ermittlungen. Du unternimmst von jetzt an nichts mehr ohne meine ausdrückliche Erlaubnis. Ich will nichts riskieren.»
«Du bist ein richtiger Macho!»
«Du hast keine Ahnung, mit was für Leuten wirs zu tun haben.»
«Oh doch, mir ist schon …»
«Kapiert? Ich bin der Boss, oder gar nichts läuft zwischen uns.»
«Das hoff ich auch nicht, dass zwischen uns …»
«Verstanden?!»
Sie hielt gereizt meinem Blick stand.
«Einverstanden.»
Die Flut des Industriekanals, klar und grünlich schimmernd wie Seewasser, ergoss sich ins breite Bett der Emme. Nach wenigen Metern hatte sie sich mit deren schlammigem Wasser vermengt.
Das Entlebuch war
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