Durst - Roman
Schwitzkasten genommen. Petar, der dies sah, schaltete in den Leerlauf, löste die Handbremse und sprang aus dem rollenden Wagen. Als nächstes vernahm ich einen heftigen Aufprall. Petar war mit einem Satz bei mir und versetzte meinem Hauswart einen Handkantenschlag, worauf dieser benommen zu Boden ging.
«Was tust du da?!»
«Karate, Mann, noch nie gesehen?»
Ich sah mich um und zog Petar durch die offenstehende Tür der Hauswartwohnung. Ich verschloss sie und lief ins Wohnzimmer. Durchs Fenster spähend erkannte ich, dass Petars Golf in ein Auto geprallt war, das auf der anderen Strassenseite parkierte. Der Streifenwagen kam ungefähr an derselben Stelle zum Stehen, wo Petar zuvor gehalten hatte. Zwei Polizisten stiegen aus und stürmten auf den Eingang zu. Wir hörten den Hauswart um Hilfe schreien und an der Wohnungstür rütteln.
Ich öffnete das Fenster: «Jetzt!»
Wir sprangen die eineinhalb Meter aufs Trottoir und rannten die Strasse hinunter. Einem Mann, der sich uns in den Weg stellen wollte, verpasste Petar kurzerhand einen Kinnhaken.
«Hier durch!» Ich hastete in den Verkaufsraum von Velo Sager. Vor langer Zeit hatte ich hier eine Schnupperlehre gemacht und wusste, dass man über das rückwärtige Treppenhaus auf die Merkurstrasse gelangte. Wir stürmten am Lehrling vorbei in die Werkstatt. Dort befand sich niemand. Die Tür war unverschlossen, und wir traten ins Freie.
Wir blickten uns um und versuchten möglichst unauffällig die Strasse zu überqueren. Zwischen zwei Wohnblöcken hindurch gelangten wir zu einer Backsteinhalle, die mit ihrem Sägedach und den charakteristischen Oberlichtbändern die Ostgrenze des alten Viscoseareals markierte.
«Etwas weiter rechts hats einen Durchgang!»
Durch die Wohnhäuser den Blicken allfälliger Verfolger entzogen, begannen wir wieder zu rennen. Das Gittertor war verschlossen, aber nicht besonders hoch. Wir stiegen darüber und erreichten nach ungefähr hundert Metern den Innenhof der ehemaligen Viscoseverwaltung. Von Weitem war das Heulen der Martinshörner zu hören. Wir traten durch die bogenförmige Toreinfahrt des Trafoturms auf die Emmenweidstrasse. Von hier war es nicht mehr weit bis zum Atelier eines Bekannten.
Wir standen einander nicht besonders nahe. Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir uns bei einer Vernissage eines gemeinsamen Freundes kennengelernt. Aber das musste nun genügen.
Ich war nicht weiter überrascht, ihn anzutreffen. Er arbeitete und wohnte zugleich in den Räumen, worin während Jahrzehnten die Frauen der Viscosearbeiter in Hauswirtschaft unterrichtet worden waren.
Er begann ungefragt die Bedeutung einer WC -Rollen-Skulptur zu erläutern, die er gerade mit einem Goldspray besprühte.
Nach einer Weile unterbrach ich seinen Redeschwall mit der Frage: «Kann ich mal für eine Stunde dein Auto haben?»
Er wollte kompliziert tun, aber ich erinnerte ihn an seine Bitte, meinem Verleger dereinst seine Lyriksammlung zu unterbreiten.
«Das kommt ja einer Erpressung gleich!», rief er und lachte, weil er nicht sicher war, ob ich diese beiden Dinge wirklich voneinander abhängig machte.
«Ist mir gerade egal. Den Schlüssel!»
Ich grinste, um beim scherzhaften Ton zu bleiben.
Zehn Minuten später waren wir unbehelligt in der Zentrale angelangt.
«Tut mir leid wegen dem Wagen.»
Petar hatte das Ganze offensichtlich Spass gemacht: «Easy, hab ihn sowieso nur ausgeliehen. Aber shit, Mann, das war verdammt knapp gewesen!»
Anita war inzwischen aufgestanden. Ich notierte ihr den vollen Namen und die Adresse meines Verlegers. «Sieh zu, was über ihn in Erfahrung zu bringen ist. Meinetwegen kannst du deine Redaktionskollegen in Anspruch nehmen – du musst ihnen ja nicht gerade die ganze Geschichte unter die Nase binden. Und wenn du schon dabei bist, kannst du dich gleich noch über Staatsanwalt Eicher informieren.»
Ich setzte mich in den geliehenen Fiat und karrte auf Umwegen zu Frau Slavkovi ć . Ich reichte ihr die Fotografie, die mich mit Guido Brechbühl zusammen in einem Cabriolet zeigte.
«Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?»
Sie hatte ihre Lesebrille aufgesetzt und studierte stirnrunzelnd die Aufnahme. Endlich liess sie die Hand sinken und sah mich über den Rand der Brille hinweg an.
«Nun, kennen Sie diese Person?»
«Wenn mich nicht alles täuscht …»
«Handelt es sich um den Mann, der sich Ihnen gegenüber als Herrn Brun ausgegeben hat?»
Sie legte die Fotografie auf den Tisch. «Zumindest sieht er
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