Durst - Roman
genommen.»
«Tut mir leid, aber die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Erinnerst du dich noch an die Ansichtskarte, die du in Slavkovi ć s Büro gefunden hast?»
Ich nickte.
«Moment, ich les sie dir vor.» Sie blätterte in ihrer Mappe und zog eine Kopie hervor. «‹Dear Zoran. The children have had a pleasent crossing and are in good health. Best wishes …› Erinnerst du dich? Die Karte wurde in Maracaibo aufgegeben. Von Maracaibo ist es nur eine kurze Schiffsfahrt hinüber nach Aruba. Und Aruba ist ein international beliebtes Offshore-Pflaster, bekannt dafür, dass die kolumbianischen Drogenbosse dort ihr Geld waschen. Wenn wir also annehmen, das Wort «children» stehe für einen bestimmten Geldbetrag, schliessen wir daraus, dass Slavkovi ć s Büro als Durchgangsstation für die Bezahlung von Drogenlieferungen gedient hatte.»
Anitas Wangen waren gerötet, ihre Augen glänzten: «Zusammengefasst: Brechbühl nimmt Drogengeld entgegen und wäscht es über verschiedene Stationen. Das Geld landet zuerst bar bei Slavkovi ć , dieser gibt ihm durch die Quittungen und die Kopien der Ausweise einen legalen Hintergrund, darauf wird es auf sein Konto bei der UBS überwiesen, von dort gehts weiter zur Dobrex-Holding und so weiter. Ebenso mochte Brechbühl mit seinem Verlag verfahren sein. Was ist los?»
Ich war aufgestanden und ging nach draussen. Wir befanden uns am Rand einer mächtigen Gewitterzelle. Ich blieb in der Tür stehen und sah dem Wind zu, der ganze Vorhänge aus Regen vor sich hertrieb. Von Zeit zu Zeit erhellten Blitze die Nacht, gefolgt von Donnergepolter, wohingegen sich das Getöse der Schrotthalle wie Laubgeraschel ausnahm. Ich steckte mir eine Zigarette an.
Anita war nachgekommen. Schweigend verfolgten wir das Spektakel. Plötzlich vernahmen wir eilige Schritte auf dem Schotter und erblickten eine grosse, gekrümmte Gestalt, die sich uns rasch näherte. Wir machten Faruk Platz, damit er an uns vorbei in die Zentrale gehen konnte.
Nachdem das Gewitter vorübergezogen war, gingen wir wieder hinein. Anita kochte Tee und stellte dazu Gebäck auf, das sie am Nachmittag besorgt hatte.
«Aber wieso macht Slavkovi ć – vorausgesetzt, das ist sein Werk gewesen – eine Fotografie von Brechbühl und setzt sie anschliessend in den Identitätsausweis eines seiner Kunden ein? Das ergibt doch keinen Sinn?»
Anita rutschte nervös auf dem Sofa hin und her: «Darf ich dir meine These darlegen?»
«Selbstverständlich darfst du.»
«Du hast mir doch von der neuen Rechtsgrundlage erzählt, die auf das Jahr zweitausend in Kraft tritt und in deren Übergangsphase wir uns befinden …» Sie hob die Augenbrauen. «Was das Geldwechsel- und Geldtransfergeschäft betrifft; der damit verbundenen behördlichen Bewilligung …»
«Ich erinnere mich.»
«Du hast mich nur so eigenartig angeschaut … Brechbühl hatte wohl befürchtet, mit dem Regimewechsel könnten Slavkovi ć s Geschäfte genauer unter die Lupe genommen werden – letztlich würde ihm die Bewilligung nicht erteilt, oder schlimmer, die ganze Geschichte könnte auffliegen. Und in der Tat wundert sich der externe Buchprüfer über die Höhe der transferierten Summen und schaltet die Staatsanwaltschaft ein. Zufall oder nicht, das Geschäft gelangt an Staatsanwalt Eicher, der die Ermittlungen aufgrund mangelnder Beweise einstellt – oder erst gar nicht aufnimmt. Aber mehr dazu später. Brechbühl versucht Slavkovi ć zu überreden, seine Buchhaltung zu vernichten, und macht ihm klar, dass er bei ihm in Zukunft kein Geld mehr ‹investieren› kann. Damit bleibt also alles an Slavkovi ć hängen. Aber Slavkovi ć tut nur so, als vernichte er die Buchhaltung. In Wirklichkeit nimmt er alle Unterlagen nach Hause, um sie als Druckmittel gegen Brechbühl einsetzen zu können. Da ihm klar ist, dass er Brechbühls richtigen Namen nicht kennt, versucht er der Staatsanwaltschaft mit dem gefälschten Pass den Hinweis zu geben.»
«Das klingt plausibel.» Ich zündete mir eine Zigarette an. «Nun aber raus mit der Sprache: Was konntest du über Eicher in Erfahrung bringen?»
«Ja also, Eicher hat auch so seine kleine Vergangenheit. Er war, bevor er völlig überraschend auf Kosten eines amtierenden Staatsanwalts gewählt wurde, lange Zeit als Wirtschaftsjurist bei einer grossen Versicherung tätig. Auch bekleidete er einige Verwaltungsratsmandate, wie sich das in solchen Kreisen gehört. Interessanterweise sass er in den Jahren vierundachtzig bis
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