Durst - Roman
ethnisch motivierten Mord aussehen lassen soll?»
«Genau.» Anita freute sich über die gute Auffassungsgabe ihres Schülers.
«Jetzt versteh ich auch, warum Brechbühl alles andere als begeistert war, als ich von meinem Projekt erzählte. Er fürchtete, ich könnte ihm auf die Schliche kommen.»
«Vielleicht hat er sich ja wirklich Sorgen um dich gemacht. Er wusste, du würdest dich in grosse Gefahr begeben.»
Ich liess mir alles noch einmal durch den Kopf gehen. Nach einer Weile sagte ich: «Das Problem ist nur, dass wir praktisch nichts von dem beweisen können.»
«Nun, das wird dann wohl nicht mehr unsere Aufgabe sein. Aber davon abgesehen seh ich das nicht so pessimistisch wie du. Die Bekanntschaft Slavkovi ć s mit Brechbühl lässt sich mit den Aussagen seiner Frau, den Notizen in der Agenda und der Fotografie auf dem Pass unschwer belegen. Irgendwo wird es zudem Verbindungen zwischen der Dobrex-Holding und Firmen geben, bei denen Brechbühl Beteiligungen hält. Hinzu kommt, wie Furrer die Aufklärung des Mordfalls, für den er gar nicht zuständig war, an sich gerissen hat. Überhaupt sein Vorgehen. Zuletzt Eicher: Dass er keine Hausdurchsuchung bei Slavkovi ć vorgenommen hat, lässt ihn nicht gerade im besten Licht erscheinen. Bleibt noch die Verantwortung für Slavkovi ć s Tod. Man wird ihnen wohl die Verdunkelung des Mordes anlasten können, nicht aber seine Urheberschaft. Ausser natürlich …»
«… einer von ihnen legte ein Geständnis ab, was von vornherein ausgeschlossen ist.»
«Wart ab, man muss nur genügend Druck ausüben.» Augenzwinkernd fügte sie hinzu: «Unterschätz den Einfluss der Vierten Gewalt nicht.»
Plötzlich ging alles sehr schnell. Ein Stein brachte den anderen ins Rollen. Wir nahmen mit dem Staatsanwalt der Sozialdemokraten Kontakt auf und legten ihm einen Teil unserer Recherchen vor. Unser Vertrauen beruhte darauf, dass seine Partei damals ihre Stimme nicht Eicher, sondern dem amtierenden Rosengarten gegeben hatte. Der Mann fürchtete, er könnte sich an der Geschichte die Finger verbrennen. Aber wir liessen ihm gar keine Wahl. Zur gleichen Zeit nämlich arbeitete Anita an der Niederschrift der Reportage, die bereits in der übernächsten Ausgabe des «Journals» kommen sollte mit der Anmerkung, alle wichtigen Beweismittel lägen der Staatsanwaltschaft vor.
Die besagte Reportage versetzte die sonst so beschauliche Zentralschweiz in helle Aufregung und stiess weit darüber hinaus auf Interesse. Viele Zeitungen griffen die Geschichte auf und stellten eigene Nachforschungen an, Radio- und TV -Stationen berichteten «exklusiv» aus Emmenbrücke. Die Behörden fühlten sich veranlasst, Schritte in die Wege zu leiten. Einer nach dem anderen wurden Brechbühl, Furrer, Eicher und Ackermann in Untersuchungshaft genommen.
Wie ich später erfahren sollte, legte Brechbühl sogar ein Geständnis ab. Darin führte er aus, er sei von Slavkovi ć erpresst worden. Dieser hätte eine beträchtliche Summe Geld verlangt, damit er die Buchhaltung vernichten und vor Gericht schweigen würde. Brechbühl habe sich darauf mit seinen Komplizen beraten, jedoch ohne dass eine Einigung hätte erzielt werden können. Er beharrte auf seiner Darstellung, der Auftrag an den Berufskiller sei ohne sein Wissen erfolgt; eine Behauptung freilich, die seine Partner vehement bestritten. Ebenso habe er die Massnahmen, mit denen ich von meinen Nachforschungen hätte abgebracht werden sollen – das Anfahren auf dem Fussgängerstreifen und die missglückte Beseitigung Faruks –, nicht gebilligt. Ansonsten gestand er alle ihm zur Last gelegten Vergehen.
Ich kann nicht beurteilen, ob ihn das erdrückende Beweismaterial und die Aussicht auf Strafmilderung zu dem Geständnis veranlasst hatte, oder ob Brechbühl «aus Reue» gestand, wie er zu Protokoll gab. Er hätte in seinem Leben manches getan, was gegen das Gesetz verstossen habe. Aber einen Menschen zu töten, sei etwas, womit er sich unter keinen Umständen einverstanden erklärt hätte.
Dorothea war am Boden zerstört. Sie war gänzlich ahnungslos gewesen. Ich kümmerte mich in der ersten Zeit ein wenig um sie. Auf einem unserer Spaziergänge meinte sie unter Tränen, sie hätte Guido so was niemals zugetraut. Die meisten Menschen hätten ihn nur von seiner prahlerischen, oberflächlichen Seite her gekannt. Aber im Innern sei er verletzlich und liebebedürftig wie ein kleines Kind.
«Ich glaube, das hat damit zu tun, dass er nie eine Mutter gehabt
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