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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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dieses Vorgehen schon eher ein. «Wahrlich, Bosnien ist das Land des Hasses.» Eine solche Person will ihrem Opfer Angst einjagen, bevor sie es tötet – es soll leiden; vielleicht wünscht sie sogar, an ihrem Vorhaben im letzten Moment gehindert zu werden. Und nun, nachdem eigentlich alles ausgestanden wäre, will sie noch etwas. Nur was?
    Oder erlaubte sich jemand einen Scherz? Davon abgesehen, dass ich niemandem in meinem Umfeld so etwas zutraute, wäre dafür nur Adnan in Frage gekommen. Er war der Einzige, dem ich die Briefe gezeigt hatte. Anita hatte sie nie zu Gesicht bekommen, weil ich sie nicht am selben Ort aufbewahrt hatte wie meine Notizen. Zudem hatte ich es nicht für nötig befunden, sie in alle meine Karten blicken zu lassen. War also Adnan so etwas zuzutrauen? Was hätte er davon gehabt? Er möchte doch zumindest mein dummes Gesicht sehen, wenn ich die Mitteilung lese.
    Ich war mit meinen Überlegungen am Ende. Ich bestellte ein weiteres Bier, rauchte und sah mich um. Was nun ein richtiger Detektiv täte, fragte ich mich. Wahrscheinlich dasselbe, was ich vorhatte: sich betrinken.
    Ungefähr nach der vierten Stange kam ich mit zwei jungen Männern ins Gespräch, die eine elegante Blonde eskortierten. Wie sich herausstellte, waren sie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst. An den Anlass kann ich mich nicht mehr genau erinnern – ich glaube, sie machten sich über meine Röhrenjeans und meine Converse lustig. Ich sei wohl schon lange nicht mehr in der Stadt gewesen. Ich sagte, ich hätte sie nie verlassen. Woher ich denn käme, sie hörten es meinem Dialekt an, dass ich kein Zürcher sei.
    «Aus Emmenbrücke?!» Ich wurde angestarrt wie jemand, der eben einen Flugzeugabsturz überlebt hatte.
    «Wie kann man es nur an so einem Ort aushalten …», sagte die Blonde angewidert.
    «Warst du denn schon mal dort?»
    Alle lachten.
    Der Lange mit der schwarzen Hornbrille verkündete: «Emmen Nord – Emmen Süd.»
    «Seetalplatz», ergänzte sein Kollege. «Du kommst also aus dem hässlichsten Ort der Schweiz?»
    Ich realisierte, dass die Typen genauso viel getrunken hatten wie ich.
    «Ist es denn dort nicht gefährlich?», fragte die Elegante, die an mir etwas Exotisches entdeckt zu haben glaubte.
    Ich tat ihr den Gefallen gern: «Weshalb gefährlich?»
    «Du weisst schon. Die vielen Ausländer; Kriminalität und so …»
    Ich hob mein T -Shirt ein wenig an und zeigte ihr die Narbe meiner Blinddarmoperation. «Aus einem Missverständnis in eine Messerstecherei geraten … Der Typ glaubte, ich wollte seine Freundin anmachen, dabei hatte ich sie nur nach der Uhrzeit gefragt.»
    Die Gruppe staunte.
    «Alles halb so wild. Er hat mich im Spital besucht und sich entschuldigt. Wir spielen manchmal Billard zusammen.»
    Ich bestellte eine Runde und bezahlte. Sie fanden mich auf einmal ziemlich cool, glaube ich. Ein paar Biere später stellte sich heraus, dass sie erst seit Studienbeginn in Zürich lebten. Sie waren in Dörfern aufgewachsen, deren Namen ich noch nie gehört hatte.
    Als uns eine weitere Runde mit dem Hinweis auf die Uhrzeit verweigert wurde, konstatierte ich, dass der letzte Zug nach Luzern in diesem Moment aus der Bahnhofshalle rollte.
    Wir standen draussen vor dem Lokal. Der Lange mit der Brille versuchte mich zu überreden, auf einen Sprung in den illegalen Club eines Bekannten mitzukommen. Ich schlug dankend aus. Ich hatte plötzlich Lust, Anita zu besuchen. Ich liess mir von der Blonden erklären, mit welchem Tram ich an die genannte Adres se gelangte.
    Die Tramfahrt dauerte nicht lang, aber sie bewirkte, dass meine Euphorie abflaute. Vielleicht kam ich ungelegen; selbst wenn ich Anita nicht aus dem Schlaf riss. Was würde ich anderseits mit der Zeit anfangen, die bis zum ersten Frühzug noch verblieb?
    Anita wohnte in einem ruhigen Aussenquartier, in der Nähe eines Schulhauses, eines Kindergartens und einer protestantischen Kirche. Die Turmuhr zeigte fünf nach eins, als ich beim Dreissigerjahre-Wohnhaus die Tafel mit den Klingelknöpfen und den Namensschildern studierte. Einige Fenster des fünfgeschossigen Gebäudes waren erleuchtet. Die Haustür war verschlossen, eine Gegensprechanlage existierte nicht.
    Ich klingelte.
    Im dritten Stock ging ein Fenster auf, eine Gestalt beugte sich über den Sims.
    «Du? Was für eine Überraschung!»
    Bevor ich etwas erwidern konnte, war sie verschwunden. Nach einer Weile erschien sie wieder und rief: «Fang auf.»
    Sie warf einen Gegenstand aus dem

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