Durst: Thriller (German Edition)
deren Name Sebastian noch nie gehört hatte: Catamarca. Man hatte den Vater, der Zollinspektor war, dorthin versetzt. Magdalenas Mutter war geisteskrank, und so musste Magdalena wohl oder übel mit der Familie mitgehen. Unter Tränen gaben sie sich das Versprechen, sich bald wiederzusehen. Als er nach Hause zurückkehrte, dachte Sebastian mit der Wut eines waidwunden Tiers an diese fremde Stadt. Auf der Straße begegnete er jungen Leuten, die zu einem der Mai-Umzüge gingen, und als er auf der Plaza 25 de Mayo ankam, winkte ihm Pino Juárez zu.
» Lass uns einen Wein trinken gehen. «
Sebastian folgte ihm.
Die Taverne lag in der Nähe des Hafens. Die Matrosen betranken sich und schienen sich nicht im Mindesten für den Feiertag zu interessieren. Es stank nach schlechtem Essen, aber es lag eine gewisse Gelassenheit über allem.
» Ich habe beschlossen, auf der Forestiera anzuheuern « , sagte Pino, während er an seinem Wein nippte.
» Der Forestiera? Was ist das? «
» Das Schiff einer englischen Schifffahrtsgesellschaft. Sie läuft nach Buenos Aires aus. Dort wird die Mannschaft auf ein größeres Schiff verbracht. «
» Du willst deine Arbeit hier aufgeben? «
» Diese Scheißarbeit? « Pino betrachtete ihn mit seinen gelben Augen, den Augen einer Burma-Katze. » Warum kommst du nicht mit? «
» Ich? « Sebastian zog ein merkwürdiges Gesicht. Sein Blick verschleierte sich. Er dachte an Magdalena und die Stadt mit dem fremden Namen.
» Klar. Was willst du denn hier? War es nicht immer dein Traum, zur See zu fahren? Die Heuer ist nicht gewaltig, aber das Schiff fährt bis in den Orient. Man hat mich gefragt, ob ich noch jemanden kenne, und da habe ich sofort an dich gedacht. Stell dir nur vor: Die große, weite Welt, Sebastian… «
Der biss sich auf die Lippe. » Ich muss darüber nachdenken. Keine Ahnung. «
» Denk nicht nach, komm einfach mit, und fertig. «
Zwei Wochen später befand er sich auf der Forestiera.
Das große Schiff hieß Queen Elizabeth. Sebastian war schon die Forestiera groß vorgekommen, aber als er die Queen Elizabeth sah, riss er die Augen auf. Das Schiff legte ab und fuhr über den Atlantik nach Afrika. In Luanda lag es viele Tage im Hafen, löschte tonnenweise Baumwolle, lud tonnenweise Edelhölzer, nahm wieder Kurs auf, umrundete das Kap der Guten Hoffnung und fuhr dann ostwärts in Richtung Bombay.
Pino arbeitete im Maschinenraum, während Sebastian für den Laderaum eingeteilt worden war. Eine höllische Arbeit. Es gab Tage, an denen er kein Sonnenlicht zu sehen bekam und nur den Gestank unter Deck atmete. Während seine Arme unerträglich schmerzten, war das Gesicht seines Freundes, wenn er ihn gelegentlich traf, über und über mit Öl verschmiert, die Augen knallrot. Pino war allerdings zufrieden und freute sich über den Kameradschaftsgeist im Maschinenraum, dem Herzen der Bestie, wie er die Queen Elizabeth nannte. Sebastian wiederum spürte, dass diese Rattenexistenz nicht das war, was er sich erträumt hatte. Eigentlich hatte er sich an Deck gesehen, den Salzgeruch der Meere in der Nase, während am Horizont ferne Länder auftauchten. Stattdessen versauerte er im ranzigen Schweißgeruch seiner Gefährten und musste im flackernden Licht der Petroleumlampen die Augen zusammenkneifen.
Von Bombay aus fuhr die Queen Elizabeth direkt nach Shanghai, eine Reise, die noch länger und kräftezehrender war. Sebastian beschloss, dass es für ihn die letzte sein würde.
Als sie sich voneinander verabschiedeten, wünschte ihm Pino viel Glück.
Manch einer behauptet, von hier an sei die Geschichte authentisch. Manche glauben eher an andere Versionen, aber das macht eigentlich keinen großen Unterschied. Sicher ist, dass Shanghai wenige Monate nach Sebastians Ankunft von der kommunistischen Armee unter Mao Tse-tung eingenommen wurde. Das war im Mai 1949.
Das Paris des Orients war, nach allem was er gehört hatte, die Stadt der tausend Möglichkeiten. Der Hafen war allerdings ein wuselndes Dreckloch, das verschiedene Clans unter sich aufgeteilt hatten. Da er zwei Sprachen beherrschte und von drei weiteren ein paar Brocken verstand– den Freunden seiner Kindheit sei Dank–, fand Sebastian bei einem belgischen Importeur Arbeit. Der hatte es im Spirituosenhandel zu einem gewissen Wohlstand gebracht, und als der Sohn des Bäckers Alfredo nun für ihn Geschäftsbriefe aufsetzte, das Lager betreute und Inventarlisten erstellte, entdeckte Sebastian sein Herz für all die aus weiter
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