Durst: Thriller (German Edition)
Können Sie alleine aufstehen? «
Der Alte schaute ihn an und zwinkerte mit den schmalen Lidern.
» Hier, Ihr Geld. « Er hielt ihm die Rolle hin.
Der Alte rührte sich nicht, und so steckte Sebastian die Rolle in eine Tasche des vollkommen verdreckten weißen Baumwollkittels. Luon Li O drehte sich auf die Seite und befühlte die Tasche, in der das Geld eine deutliche Beule hinterließ.
» Ich kenne dich. Du bist der mit den Flaschen. «
Sebastian nickte und wollte ihm aufhelfen, aber Luon Li O blieb auf dem Boden sitzen und atmete schwer. Ein paar Meter weiter lag der Junge auf dem Boden.
» Hast du ihn umgebracht? «
» Ich denke nicht. Nein, bestimmt nicht. «
Der Alte musterte ihn wieder. » Ich kenne dich. Warum hast du das getan? «
Sebastian wusste nicht, was er sagen sollte. Eigentlich wäre er am liebsten gegangen. Er war die ganze Nacht wach gewesen und hatte die Buchhaltung gemacht, und jetzt war er müde. Er sagte die Wahrheit: » Keine Ahnung, es war einfach ein Reflex. «
» In diesem Teil der Stadt gibt es nicht viele, die das gemacht hätten. Danke. « Luon Li O blickte auf Sebastians Hände. » Womit hast du ihn erwischt? «
Die Frage überraschte Sebastian, als hätte er es selbst vergessen. Er öffnete die Faust, und es kam ein Drache aus einem türkisfarbenen Stein zum Vorschein. Der Alte betrachtete ihn eine Weile, dann schaute er wieder auf Sebastian, der aber nun sagte: » Geh schnell nach Hause, bevor die Polizei auftaucht. «
Der Alte wollte den Mund aufmachen, aber Sebastian eilte bereits schnellen Schritts die Gasse entlang.
Zwei Tage später rief Luon Li O die junge Kellnerin ins Hinterzimmer neben der Küche. Er sagte, dass er eine halbe Stunde fort sein werde und sie sich um die letzten Kunden kümmern solle. Das war gegen drei Uhr nachmittags. Er streifte den weißen Kittel ab, zog ein kurzärmeliges, blassblaues Hemd an, setzte eine Art wollener Schirmmütze auf und verließ das Restaurant. Nachdem er die Gasse zum Fluss hinuntergelaufen war, bog er in eine breitere Straße mit zahlreichen Geschäften ein. Es wimmelte hier nur so von Menschen und fliegenden Händlern, die an ihren Karren bergeweise Obst verkauften. Autos bahnten sich zwischen Pferdefuhrwerken einen Weg. Nach wenigen Schritten blieb Luon Li O vor einem Schaufenster mit rot lackierten schmiedeeisernen Verzierungen stehen. Rechts war die Tür, auf der in Weiß geschrieben stand: FLASCHEN UND SPIRITUOSEN AUS ALLER WELT . Luon Li O zögerte einen Moment, dann trat er ein.
In der Stille des Geschäfts ertönte eine Glocke. Am Verkaufstresen war niemand, und so blieb der Alte, den Hut in der Hand, neben der Tür stehen und schaute sich um. Sein Blick glitt über die Regale mit den Flaschen und über die Holzkisten auf dem Boden, von denen einige geschlossen, andere aber geöffnet waren. Auch sie enthielten Flaschen.
» Wie ich sehe, geht es Ihnen gut. Das freut mich. « Sebastians Stimme ließ ihn zusammenfahren.
» Guten Tag! Ja, mir geht es gut, und das verdanke ich Ihnen. «
» Das kann man so nicht sagen. Ich habe Ihnen bloß Ihr Geld zurückgegeben. «
Luon Li O merkte, dass der Mann mit dem Akzent einer Person sprach, die lange in China gelebt hatte. Vorher musste er allerdings woanders gewohnt haben, weit weg von den himmlischen Gefilden.
» Nein, da irren Sie sich, Sie haben viel mehr getan. « Er trat an den Tresen heran. » Mein Name ist Luon Li O. Ich habe ein kleines Restaurant hier um die Ecke, das Ping Li. «
» Das kenne ich, auch wenn ich nie dort gewesen bin. Sehr erfreut, Sebastian. «
» Sie müssen einmal vorbeikommen, das wäre mir eine große Ehre. «
Luon Li O registrierte erst die wässrig blauen Augen des Fremden, die merkwürdig ins Ockerfarbene changierten, dann die gewaltige Nase mit dem scharfen Höcker.
» Sebastian und weiter? «
» Einfach nur Sebastian. « Er merkte, dass der alte Thai ihn eindringlich musterte. Das gefiel ihm nicht, und so schwieg er einfach.
» Wie Sie möchten, Sebastian. Darf ich Sie an einem der nächsten Tage zum Essen einladen, als Zeichen meiner Dankbarkeit? «
Sebastian lächelte. Viel hatte er über das tausendjährige Reich Siam nicht gelernt, seit er hergekommen war, aber eines wusste er: Die Einladung eines alten Thai sollte man nie ausschlagen.
» Sicher « , sagte er. » Sehr gerne. «
» Kommen Sie morgen. Wann schließt Ihr Geschäft? «
» Um sechs. «
» Dann kommen Sie um sechs. Ich erwarte Sie. «
Luon Li O setzte seine
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