kleinen Tisch hatte Matheus sich zugelegt. Die größte Aufmerksamkeit hatte er allerdings der Terrasse gewidmet.
Das Gebäude, in dem die Wohnung lag, war das einzige Sechzigerjahre-Haus inmitten von alten, grell angemalten portugiesischen Sobrados und ein wahrer Schandfleck. Es befand sich an der Ecke Avenida 2 de Julho, nur wenige Schritte vom Zentrum entfernt. Direkt vor dem Haus lagen die Küste und ein paar Flecken weißer Strand. Links sah man auf die Hafenmole, rechts auf die Mündung des Cachoeira. Für gewöhnlich stand Matheus in der Morgendämmerung auf und machte seine Yogaübungen. Es gelang ihm zwar nicht immer, aber sein Ziel war es, eine tadellose Bhujangasana auszuführen, umgangssprachlich auch als › Kobra ‹ bekannt. Wenn dann die Sonne aus dem Meer auftauchte, hatte er ihre sanfte Silhouette direkt vor Augen. Bei einem Kaffee schaute er in den Horizont und beobachtete, wie das Leben in der Hafenstadt träge erwachte.
Eines Abends, als trotz der feuchten Hitze eine sanfte Brise wehte, beschloss Matheus, auf der Terrasse ein Glas Wein zu trinken. Er hatte Hunger, aber keine Lust zu kochen. Kurz dachte er daran, zur Bar Vesuvio hinüberzugehen, aber die Vorstellung, alleine essen zu müssen, ließ ihn davon Abstand nehmen. Außerdem thronte ein Stapel Arbeiten, die noch korrigiert werden mussten, mahnend auf dem Schreibtisch. Ein plötzlicher Windstoß fuhr zwischen die Blätter. Schnell stand Matheus auf, um sie wieder einzusammeln.
Danach schaute er wieder aufs Meer. Um diese Uhrzeit war es wie schwarzer Samt. Er dachte an die E-Mail, die er nachmittags bekommen und auf die er noch nicht geantwortet hatte.
Von:
[email protected] An:
[email protected] Sehr geehrter Herr Professor Braga,
ich wende mich auf Empfehlung Ihres Bruders an Sie.
Die NGO , für die ich arbeite, stellt Untersuchungen zu Gesundheitsproblemen im Bereich des Stausees von Sobradinho an. Wir bräuchten den Rat eines Experten. Ich möchte hier nicht auf die Einzelheiten eingehen, aber wenn es möglich ist, würde ich Ihnen die Sache gerne persönlich erläutern. Es ist ziemlich dringend.
In Erwartung einer Antwort mit bestem Dank,
Dr. Sarah Clarice Young
Konzise – das war das Wort, das Matheus sofort durch den Kopf gegangen war. Als er sein Outlook geschlossen hatte, war er leicht verwirrt gewesen. Vor ihm hatte ein Student mit einer gewaltigen Rasta-Mähne gesessen, aber Matheus konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was er wollte. Zehn Minuten lang tat er so, als würde er ihm zuhören, dann schloss er sich in seinem Büro ein. Er wusste nicht, wie er das Unbehagen abschütteln sollte. Wie viele Jahre hatte er nichts mehr von seinem Bruder gehört? Fünf Jahre? Sieben Jahre?
Sein Blick fiel auf den mächtigen Mandelbaum vor seinem Bürofenster an der Westseite der Uni. Er liebte diesen Mandelbaum.
Und jetzt ließ Nelson über irgendeine Sarah Clarice Young von sich hören… Unwillkürlich hatte Matheus angefangen, mit einem roten Kuli auf einer akademischen Fachzeitschrift herumzukritzeln. Er beschloss, nicht zu antworten, stand auf und trat ans Fenster. Hinter dem Mandelbaum hatte sich der Himmel zugezogen, und die Möwen, die ihre kläglichen Schreie ausstießen, flogen tief. Das bedeutete Regen.
Der Wolkenbruch erwischte ihn, als er mit seinem hellblauen Fiat Uno, den er gebraucht gekauft hatte, nach Hause fuhr.
Jetzt auf der Terrasse war vom Regen nichts geblieben als die etwas frischere Luft und die feuchten Flecken auf den weißen Fliesen. Er trank ein zweites Glas Wein. Irgendwann klingelte das Telefon. Matheus stand langsam auf und ging zum Telefonhörer, der auf dem Korbregal lag.
» Matty? «
» Hallo, Schatz. «
» Alles in Ordnung? «
» Alles in Ordnung. Und bei dir? Bist du noch im Büro? «
» Ja… « Cássia schnaubte. » Wir hatten gerade eine Mammutsitzung, und der Tag ist noch nicht vorbei. Ich muss noch etwas erledigen, aber dann gehe ich nach Hause. Und du, was machst du? «
» Ich stehe auf der Terrasse und trinke ein Glas Wein. Nichts Besonderes. «
» Du Glücklicher… Ist alles okay? «
» Ja natürlich. «
» Sicher? Du klingst so merkwürdig. «
Matheus ließ sich aufs Sofa fallen. » Ja? Keine Ahnung, vielleicht die Müdigkeit. Ich muss haufenweise Arbeiten korrigieren. Wie ist das Wetter bei euch? «
» Dreimal darfst du raten. «
» Es regnet? «
» In São Paulo herrschen mittlerweile britische Verhältnisse. «
»