Durst: Thriller (German Edition)
Drachen bestand darin, Wasser zu Niedrigstpreisen anzubieten und– anders als bei den alten Clans– jegliche Monopolbildung zu vermeiden.
In Begleitung auserwählter Guerillas erkundete er nach und nach das gesamte Tal. Innerhalb weniger Monate kannte er sämtliche Dörfer der Gegend. Er bot der Bevölkerung an, Bewässerungssysteme zu bauen, und erhielt im Gegenzug Hilfe bei der Suche nach neuen Quellen. Dieses weitläufige Bergmassiv erwies sich als gewaltiges, unerschlossenes Wasserreservoir.
In den Jahren 1961/62 eignete sich der Drache mindestens sieben Mineralwasserquellen an und baute dort Pumpstationen.
Er verbrachte mehr Zeit im Tal als daheim. Eine neue kleine Repräsentanz in Chiang Mai hatte er dem Oberaufseher anvertraut, der sich mit der Zeit als fähiger Verwalter erwiesen hatte. Alle zwei, drei Monate begab sich der Drache dorthin, um die Geschäfte zu kontrollieren und neue Verträge zu unterschreiben.
Es war an einem Spätnachmittag im Winter 1961– der Himmel war nach einem Unwetter schwer und fast violett–, als der Drache in einem Café in Chiang Mai Pater Lodovico Knoll kennen lernte, einen französischen Jesuiten, der während des Indochinakriegs aus Laos geflohen war. Lodovico Knoll war ein schmächtiger Typ mit fast durchsichtigem Haar und grauen Augen; vor allem aber war er Geologe.
Als der Drache ihn schließlich dazu überredet hatte, mit ihm ins Gebirge zu gehen, war ihm klar, dass dieser unstete Mann von einem geheimnisvollen Impuls getrieben wurde: Manchmal frönte er einem frenetischen Aktionismus, um dann wieder völlig in Kontemplation zu versinken. In solchen Momenten setzte er seine kleine, runde Brille auf und vertiefte sich in die Lektüre wissenschaftlicher, theologischer und philosophischer Texte, die er auch dem Drachen lieh. Der perfektionierte sein Französisch, um die mineralogischen Texte lesen zu können, und sprach schließlich mit Pater Lodovico nur noch in dieser Sprache.
Mit Hilfe des Jesuiten schaffte es der Drache, eine hydrographische Karte vom Tal zu erstellen und die Quellen in seinen Besitz zu bringen. Ihr Verhältnis wurde so eng, dass der Drache ihm vorschlug, Teilhaber der Gesellschaft zu werden. Sie waren in Chiang Mai in einem der Cafés, wo sie abends hingingen, wenn sie mit dem Oberaufseher die Verträge kontrolliert hatten. Mit einem schüchternen Lächeln lehnte Lodovico das Angebot jedoch ab.
» Warum? « , wunderte sich der Drache. » Das ist nur gerecht. Du kannst nicht nein sagen! «
» Sebastian « , sagte Lodovico und schaute ihn wohlwollend an. » Die einzige Teilhaberschaft, die ich annehmen kann, ist die mit Gott. Neben Gott hat niemand Platz. «
» Das ist doch Unsinn, verzeih, wenn ich das sage… «
» Du bezahlst mich, Sebastian, und du hast mir eine Unterkunft besorgt. Ich bitte dich, besteh nicht darauf. «
Der Drache schwieg, leicht verärgert. Allerdings beharrte er nicht auf seinem Angebot und kam auch nie wieder darauf zurück.
In den ersten Monaten des Jahres 1964 wurde dem Drachen bewusst, dass er ein beachtliches Vermögen angehäuft hatte. Das Geld war in Thailand allerdings nicht sicher. Der Krieg im nahen Vietnam hatte die politischen Verhältnisse instabil werden lassen, und außerdem wollte der Drache seine Geschäfte sowieso ausweiten. Er begab sich also nach Hongkong, das damals britische Kronkolonie war, gründete eine neue Gesellschaft und zahlte viel Geld auf eine britische Bank ein. Eigentlich hatte er die Reise mit Lodovico machen wollen, aber der Jesuit rührte sich nur ungern vom Fleck. Im Prinzip war es auch besser, dass er blieb und die Anlagen betreute. Er war der Einzige, dem der Drache vertraute.
Die Hongkonger Gesellschaft nannte er InthanonWater. Er ließ sie über einen indischstämmigen Anwalt laufen, der sich auf die Betreuung von Geschäften ausländischer Investoren spezialisiert hatte, und sondierte ein paar Wochen lang das Terrain.
Eben dieser Inder, der eigentlich in London aufgewachsen war und in Cambridge Jura studiert hatte, brachte den Drachen auf die entscheidende Spur. Einer seiner Cousins war Ingenieur, hatte seinen Wohnsitz in Hongkong, arbeitete aber in China, wo er für das Mao-Regime Staudämme baute. Er hieß Aradi Seth und war ungefähr so alt wie der Drache, obwohl er mit seinem Knabengesicht deutlich jünger wirkte.
Eines Abends trafen sich die beiden Männer in einem traditionellen Restaurant in Hafennähe. Zunächst ergingen sie sich in Höflichkeiten, und der Drache
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