Durst: Thriller (German Edition)
Lothringen, um schließlich im Elsass fündig zu werden. Nun ging es in die Schweiz hinunter, wo er eine Weile in Genf blieb, dann nach Italien: in die Alpen, in die Gebirgsregionen Venetiens, schließlich in die Emilia und nach Umbrien. Natürlich wusste er es mittlerweile, aber die Unzulänglichkeit der italienischen Gesetze zur Nutzung der Wasserquellen verblüffte ihn immer wieder aufs Neue. In einigen Regionen gab es überhaupt keine Regelungen, und wenn es sie doch gab, dann waren sie hochgradig lächerlich.
1966 in Rom geschah schließlich etwas, das er immer befürchtet hatte: Er wurde in die französische Botschaft an der Piazza Farnese einbestellt. Dort überreichte man ihm einen Brief, dessen Schrift er sofort erkannte. Lodovico teilte ihm mit, dass er nicht mehr lange in Chiang Mai bleibe. Er könne es sehr gut verstehen, dass sich die Reise länger hinziehe, aber jetzt bitte er ihn, so schnell wie möglich zurückzukehren. In der Zwischenzeit sei die Situation im Land nämlich immer instabiler geworden. Der Vietnamkrieg würde nun auch in Laos ausgetragen, und Thailand sei an der Seite der Vereinigten Staaten in den Krieg eingetreten. China sei nun ein Feind, und die Roten Khmer aus Kambodscha zwingen die Bauern der gesamten Region in den Kampf und bringen jeden um, der sich dem Widerstand gegen den Imperialismus widersetze. In Bangkok erwarte die Militärregierung jeden Moment einen Staatsstreich.
› Komm zurück, Sebastian, ich warte auf dich. Die Zeit läuft. Lass mich meine Pflicht bis zum Ende erfüllen, bitte. ‹
Eine ganze Nacht verbrachte der Drache damit, diesen letzten Satz zu lesen, immer und immer wieder.
Als er ins Bett ging, war er überzeugt davon, dass er Fieber hatte. Irgendwann wachte er schweißgebadet auf. Er war reich, und die Welt erschien ihm klein, dann aber auch wieder riesengroß. Als im Himmel von Rom der einsame Schrei der Möwen erklang, schlief er endlich wieder ein.
Die Reise war allerdings noch nicht vorüber. Bevor der Mann mit dem Drachen nach Chiang Mai zurückkehren konnte, hatte er in Neu-Delhi eine Verabredung. Von Rom fuhr er zunächst nach London, wo ein Teil seines Vermögens verwaltet wurde, und mietete eine Wohnung als Büro seiner europäischen Repräsentanz, drei helle Zimmer mit Blick auf die Themse auf Höhe der Temple Avenue. Außerdem traf er sich mit ein paar pakistanischen Freunden von Aradi Seth, dem Cousin seines Hongkonger Anwalts. Pakistan war ein Markt, auf den der Drache ein Auge geworfen hatte.
Er hatte den Flug schon gebucht, als er ins Landhaus eines der Pakistaner eingeladen wurde. An jenem Nachmittag wurde ihm klar, dass ihm in bestimmten Kreisen der Finanzwelt ein gewisser Ruf vorauseilte.
Schnell hatte er ein Auge auf eine der wenigen Frauen dort geworfen, wahrscheinlich die Frau oder Schwester von irgendjemandem. Hannah war groß und hatte eine dichte, kupferfarbene Mähne und braune Augen. Außerdem war sie nicht die Frau oder Schwester von irgendjemandem, sondern, wie sich herausstellte, alleine da.
Er brauchte nicht lange, um zu merken, dass auch sie ihn gelegentlich anschaute. Sie aßen an einem langen Tisch unter einer mit Jasmin bewachsenen Pergola. Vor dem Dessert erhob sich Hannah mit demonstrativer Nonchalance und ging ins Haus. Unbekümmert um mögliche Hintergedanken der Anwesenden, stand Sebastian auf und folgte ihr. Im Haus sah er sie nicht mehr. Er betrat die Küche, wo eine Hausangestellte auf einem Silbertablett den Erdbeerflan anrichtete, und durchquerte den Raum. Als er in einen Flur mit Bücherregalen trat, lehnte Hannah mit dem Rücken an einem Regal. Er lächelte.
» Bist du mir etwa gefolgt? « Irgendetwas an ihrer Empörung wirkte eher wie eine Einladung.
» Ja. Schlimm? «
» Es überrascht mich, aber es missfällt mir nicht. «
» Darf ich dich morgen zum Essen einladen? «
» Morgen kann ich nicht. Ich fahre zu einem Kongress nach Nottingham. Eigentlich hatte ich gedacht, dass du auch deswegen hier seist. «
» Wieso sollte ich? «
» Es ist ein Kongress über Wasser, und ich bin selbstverständlich davon ausgegangen, dass du dich deswegen in England aufhältst. Man hat mir gesagt, dass du auf diesem Gebiet eine große Nummer seist. «
» Wer hat das gesagt? «
» Irgendjemand, was spielt das für eine Rolle? «
» Und warum gehst du auf den Kongress? «
» Ich bin Chemikerin und arbeite für Unilever. «
» Was für ein Gebiet der Chemie? «
» Oberflächenchemie. «
Sebastian kniff in
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