Durst: Thriller (German Edition)
und schrieb Pater Lodovico auf Hotelpapier einen langen Brief, in dem er ihm seinen Beschluss mitteilte: Sechs Monate würde er fortbleiben, und er würde ihn bitten, auf ihn zu warten und die Geschäfte zu leiten, wie er es immer getan hatte. Dafür würde er ihm ewig dankbar sein.
26
Im Dezember desselben Jahres 1964 befand sich der Drache auf den Hochebenen des Lake Lanao im äußersten Süden der Philippinen. Ein paar Monate später sah man ihn in Japan auf dem Fuji. Dort blieb er ungefähr ein Jahr, denn obwohl der Vulkan fast viertausend Meter hoch war, fand sich erst in einem halben Kilometer Tiefe das ersehnte Wasser.
Der Drache bewegte sich auf einem präzise abgesteckten Terrain: den wenigen, unzulänglichen Gesetzen, die die Nutzung der Wasserressourcen regelten. Wenn man in einen Felsen bohrte, weil Kupfer darunter lag oder jene wundersame Form des Kohlenstoffs, die wir Diamanten nennen, erschien sofort jemand und erkundigte sich nach der Erlaubnis. Oft kam man ohne ein Stück Papier gar nicht an die einschlägigen Stellen heran. Bei Wasser war das anders, wie der Drache wusste.
Es war ziemlich einfach, in den Besitz einer Wasserquelle zu gelangen, schon weil sonst niemand Interesse daran hatte. Folgte man in Afrika irgendwelchen barfüßigen Frauen mit einem Eimer auf dem Kopf, kam man an einen Brunnen, an eine Oase oder das Ufer eines ausgetrockneten Flusses. Um an ein Glas dieses Wassers zu gelangen, waren die Menschen bereit, sich zu streiten, zu den Waffen zu greifen, ja sogar zu töten.
In anderen Teilen der Welt war man völlig allein.
1965 füllte der Mann mit dem Drachen im Bergland des Lake Shasta, im Norden des Sacramento Valley in Kalifornien, ein äußerst reines Wasser ab. Er wusste, dass im Osten– in Richtung Idaho, Montana und Wyoming– die felsenreichsten Gegenden der Vereinigten Staaten von Amerika lagen und dass man, wenn man in direkter Linie nördlich nach Portland, Oregon, fuhr, sehr schnell zu einem Fluss namens Klamath gelangte. Der Drache begab sich zu den Stellen, wo er im Gebirge entsprang, dreihundert Kilometer weiter im Landesinneren. Die Landschaft war zauberhaft und das Wasser genauso, wie er es sich erhofft hatte.
Der Inder in Hongkong verwaltete sein Geld sehr intelligent. Ein Teil wurde nach England überwiesen und von dort nach Genf. Der Drache kaufte zu Dumpingpreisen alte Betriebe und übernahm Filteranlagen. In Oklahoma schloss er einen Vertrag mit einem gewissen Burton Hersch, einem Fellproduzenten und Besitzer von fünfzigtausend Hektar unterirdischem Wasser, zwanzig Kilometer vom Lake Texoma entfernt, an der Grenze zu Texas. Hersch, ein sonnengegerbter Typ, hatte Kehlkopfkrebs und keine Erben. Stundenlang hörte ihm der Drache interessiert zu, dann erwarb er die Rechte am Wasser. Als sie sich verabschiedeten, erzählte ihm Burton von Bob Average, einem Freund aus Lufkin, einer Stadt in der Nähe von Houston. » Am Arsch der Welt also « , erklärte Hersch, der Tabak kaute und sichtlich zufrieden war, dass er ein gutes Geschäft gemacht hatte. » Aber in Texas haben sie noch mehr Wasser als wir hier. Bob ist auch einer vom › Club ‹ , und ich weiß, dass er verkaufen will. An Ihrer Stelle würde ich hinfahren. « Der Drache fuhr hin, traf sich mit der sonderbaren Person, als die Bob Average sich herausstellte, dann auch noch mit anderen rotgesichtigen Mitgliedern des › Clubs ‹ und erwarb umfangreiche Rechte an unterirdischen Wasserressourcen. Tags darauf begab er sich nach Washington, wo er die Bestätigung dafür erhielt, dass es in den Vereinigten Staaten Anwälte für alles gab. Nun interessierten ihn noch Virginia und Maryland, und er stieß sogar bis nach Maine und zum Lake Champlain in Vermont vor. In zwei Tagen führte man ihn in die rührend schönen Adirondacks, wo er zwei Mineralwasserquellen kaufte. Auf seiner Reise hatte er auf jedem Anwesen und an jeder Versorgungsstation die amerikanische Flagge wehen sehen. Auch am Eingang des Werks von Bob Average hatte eine große, zerlumpte Fahne in der Sonne geflattert.
Als der Drache in New York ankam, blieb sein Taxi wegen einer Anti-Vietnam-Demonstration, die von der berittenen Polizei brutal aufgelöst wurde, auf der Brooklyn Bridge stecken. Es waren die ersten Monate des Jahres 1966, und er richtete den Blick nach Europa.
In Paris fühlte er sich wohl, irgendetwas dort nötigte ihm Respekt ab. Mit einem grünen Citroën glitt er dann lautlos durch die Straßen der Champagne, danach durch
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