Durst: Thriller (German Edition)
« , fragte er sich laut. Der Chauffeur sagte keinen Ton. Der Tätowierte schaute sich um, dann zog er die Jeansjacke an, die er über dem Arm getragen hatte, und ließ sich mit der Menge die São Luís hinuntertreiben.
» Fahr mich nach Hause « , befahl Bruno Johannsen dem Chauffeur.
» Natürlich, Senhor. «
Richtig, die lange Tätowierung war eine gelb-rot-schwarze Schlange. Der Mann zog die Jacke darüber und ging die São Luís entlang. Irgendwann bog er in eine schmale, absteigende Straße ein. Eile hatte er nicht. Gelegentlich tastete er in seiner Tasche nach der Tüte mit dem Geld. Er war unentschlossen, was er tun sollte: etwas trinken gehen oder eine der Peepshows aufsuchen, die es in dieser Gegend gab. Eigentlich könnte er beides tun, überlegte er, entschied sich dann aber für ein eiskaltes Bier. Ihm stand der Sinn heute nicht nach Frauen. An seiner Haut haftete noch der Geruch von dieser Nutte, mit der er vor einigen Tagen ein paar Stunden verbracht hatte, oben in Juazeiro, am Arsch der Welt.
Er war in die Stadt gekommen und hatte das Auto, mit dem er seine Arbeit machen würde, absprachegemäß vorgefunden: einen VW Gol, in dem die Beretta .22, der Beutel mit den Gerätschaften und die falschen Nummernschilder lagen. Er hatte die Schilder ausgewechselt und war dann losgefahren– ohne bestimmtes Ziel. Als er Hunger bekam, war es schon fast Abend. Eine halbe Stunde kurvte er noch planlos durch diese Stadt, die weder Form noch Farbe zu haben schien, und hielt dann vor einer bodenständigen Churrascaria. Dort stopfte er sich mit fettigen Fleischspießen voll und kippte ein paar frisch gezapfte Biere. Sobald er wieder im Wagen saß, fuhr er Richtung Busbahnhof. Er kannte sich in der Stadt nicht aus, aber an jedem Busbahnhof, der etwas auf sich hält, standen erfahrungsgemäß billige Nutten und ein paar anständige Motels.
Im Schritttempo fuhr er etwa zwanzig Minuten an den ehemaligen Getreidespeichern vorbei, die mittlerweile zu einem Freilichtpuff umfunktioniert worden waren. Er hatte keine Eile und wollte in Ruhe auswählen. Die geröteten Augen auf die Mädchen gerichtet, machte er sich so seine Gedanken. Dann entschied er sich für eine nicht mehr ganz junge Halbmulattin mit prallen Brüsten und einem ausladenden Hintern in der Stretchhose. Das Gesicht war ganz nach seinem Geschmack: Die Miene beinahe zornig, die Augen zu Schlitzen verjüngt, die geschwungenen Wimpern. Sie kostete weniger als das Churrasco, und ihr Geruch gefiel ihm sofort. Vierundzwanzig Stunden blieben ihm noch, bis er seinen Arbeitskollegen treffen würde, einen Kollegen, dem er noch nie begegnet war und dessen Namen er weder kannte noch je erfahren würde. Jetzt wollte er sich einfach nur entspannen. Er öffnete die Wagentür und ließ sie einsteigen.
Aufmerksam betrachtete er sie. » Wie heißt du? «
» Lola. «
Er legte den ersten Gang ein und rollte so weit, bis das Gesicht der Frau nicht mehr von den gelblichen Laternen beschienen wurde.
Wieder betrachtete er sie. » Bist du ein Mann oder eine Frau? «
» Ich bin das, von dem du wünschst, dass ich es bin, Schätzchen. «
Lola gefiel ihm. Schnell verließ er diesen heruntergekommenen Ort.
An jenem Abend würde Bruno Johannsen eigentlich mit seinem Vater und ein paar Anwälten zu Abend essen müssen, aber da würde er sich lieber von der Roten Armee an die Wand stellen lassen. Dabei war die Rote Armee in seinen Augen der reinste Abschaum– obwohl sie ihm auch Respekt abnötigte.
Bruno wohnte in einer Maisonette-Wohnung im fünfzehnten Stock eines Hochhauses auf der Grenze zwischen Itaim Bibi und Moema. Er lebte allein mit seinen beiden Angestellten Lara und Mário Ono, einem brasilianischen Paar japanischer Abstammung in mittlerem Alter. Die Frau kümmerte sich um die Wohnung, er um die Küche.
Die Fensterscheiben im Salon nahmen die gesamte Gebäudeecke ein. Bei Tageslicht konnte man links bis zum See im Ibirapuera-Park schauen, während rechts der Blick bis zum Fluss, dem Pinheiros, und zur Umgehungsautobahn reichte. Um diese Zeit sah man aber nur die unzähligen Lichter der Metropole im Dunkel. Ein glitzerndes Meer, so weit das Auge reichte.
Die Wohnung mit ihren vierhundertfünfzig Quadratmetern hatte ein Zimmer, das Bruno das › Armeezimmer ‹ nannte. Es gefiel ihm, die Reaktionen der Leute zu beobachten, wenn er sagte: › Lasst uns ins Armeezimmer gehen ‹ . Sobald er die Tür öffnete, schauten sie sich verblüfft um, denn es handelte sich um eine
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