Durst: Thriller (German Edition)
Bibliothek. Drei Wände waren mit Bücherregalen bedeckt, die vierte Wand war vollständig verglast. Auf dem hellen Buchenparkett lag ein weicher türkischer Teppich, auf welchem ein mit dickem, schwarzem Leder bezogener italienischer Sessel stand.
In den Bücherregalen reihten sich ausschließlich Geschichtsbücher aneinander– vorzugsweise solche, die von Kriegen und militärischen Heldentaten berichteten. Bruno interessierte sich nicht nur für große Kriege und die großen Armeen, sondern auch für die kleinen, unbekannten. Ihm gefiel der Satz, den man einem Agenten der japanischen Gegenspionage zuschrieb: › Auch ein einzelner Mann kann eine Armee sein. ‹ Entscheidend ist nicht die Masse, sondern die Einstellung. Der Agent hatte sich auf die selbstmörderische Furie der Kamikazekämpfer bezogen. Einstellung statt Masse.
Dem konnte Bruno nur zustimmen.
» Möchten Sie zu Abend essen, Bruno? « Mário Ono stand in der Tür, die den Salon mit dem Trakt verband, in dem das Haushälterpaar wohnte.
» Nein danke, Mário. Ich hätte nur gerne einen Aperitif. Ein Temaki-Sushi mit Lachs und ein Glas Sauvignon blanc. «
» Welchen? «
» Doña Paula. «
» Sofort. «
Bruno hatte den beiden verboten, ihn › Senhor ‹ zu nennen. Er hasste das, obwohl er es dem Chauffeur durchgehen ließ. Der würde sich das sowieso nicht mehr abgewöhnen können. Nach dreißig Dienstjahren, erst für Brunos Großvater Josef, dann für seinen Vater und nun für ihn, ging ihm die Anrede mechanisch von den Lippen. Der Gedanke an seinen Vater war Bruno unangenehm. Eigentlich müsste er Bescheid sagen, dass er nicht mit ihm essen ging.
Er betrat das Bad, nahm eine ausgiebige Dusche und dachte dabei an den Mann aus dem Hotel. Bruno hatte geahnt, dass er, sobald der Bote ihm das Päckchen ausgehändigt haben würde, auf die Straße kommen würde. Warum? Eine logische Erklärung gab es nicht dafür, aber er hatte es geahnt. Deshalb hatte er auch gewartet. Und er war tatsächlich heruntergekommen. Was hat das zu bedeuten?, fragte er sich.
Er stellte das Wasser ab und blieb stehen, nackt und triefnass. Irgendwann wickelte er sich in ein großes Badetuch ein und setzte sich auf den Rand des Whirlpools.
Das bedeutet, dass er durchschaubar ist.
Und diese Antwort gefiel ihm überhaupt nicht.
Als er in den Salon zurückkam, hatte Mário auf den niedrigen Kristalltisch vor dem Sofa ein Tablett mit dem Lachs-Temaki und dem Weinglas gestellt. Bruno ging in die Küche und bedankte sich.
Zurück im Wohnzimmer, nahm er sein Handy und rief seinen Vater an, der sich beim zweiten Klingelton meldete.
» Bruno. «
» Hallo, Papa. «
» Alles in Ordnung? «
» Ja. Ich wollte nur sagen, dass ich heute Abend nicht kommen kann. «
Schweigen.
» Warum? Ist irgendetwas nicht in Ordnung? «
» Doch, aber ich fühle mich nicht wohl. Ich habe entsetzliche Kopfschmerzen. Es gab eine Menge Probleme heute, eine ewig lange Sitzung. Mir ist einfach nicht danach. «
Der Vater seufzte. » Es wäre mir aber wichtig, Bruno. «
» Ich weiß, tut mir leid. «
Paulo Johannsen wusste, dass es nichts bringen würde, seinen Sohn zu drängen. » Was soll ich sagen. Geduld. Dann werde ich eben alleine hingehen. «
» Tut mir leid. «
» Das sagtest du bereits. «
Wieder Schweigen.
» Dann also einen schönen Abend. Wir hören morgen voneinander. «
» Okay. Gute Nacht. «
Er setzte sich aufs Sofa, legte die nackten Füße auf den Tisch, nahm das Temaki vom Teller und genoss in aller Ruhe die winzigen, mit Sesam bedeckten Lachsstückchen. Es war ein windiger Tag gewesen, und allmählich wurde es kalt. Er rief nach Mário Ono, der in Sekundenschnelle vor ihm stand.
» Mário, wenn sich das Wetter morgen nicht ändert, sollten wir dann nicht vielleicht den Kamin anzünden? «
» Soll ich es sofort machen? Ich weiß nicht, in welchem Zustand das Schilfrohr ist, aber ich kann nachschauen. «
» Nein. Ich gehe ohnehin gleich aus, es hat also keine Eile. Wenn es aber morgen noch kälter wird, würde ich Sie bitten, Feuer zu machen. «
» Natürlich. Möchten Sie noch ein Glas Wein? «
» Ja, aber das nehme ich mir selbst. Gehen Sie ruhig, Mário. «
Der Mann zog sich zurück.
Bruno trank noch ein Glas Wein. Von Kopfschmerzen konnte keine Rede sein, aber er hätte an diesem Abend kein schwieriges Treffen ertragen.
Er war ziemlich spät ins Büro gegangen und hatte dann mit seiner Sekretärin Edith zu Mittag gegessen. Nachmittags hätte er eigentlich zwei
Weitere Kostenlose Bücher