Durst: Thriller (German Edition)
Termine gehabt, hatte jedoch beide absagen lassen. Nichts Wichtiges, nur lästiger Kram, um den sich genauso gut Edith kümmern konnte. So hielt er es für gewöhnlich.
Als der Verwaltungsrat des väterlichen Imperiums vor einem Jahr beschlossen hatte, Bruno eine Führungsaufgabe anzuvertrauen, hatte man ihm zwei Optionen angeboten: Die erste bestand darin, den Stahlsektor zu übernehmen– das alte Rückgrat von Miller-Johannsen. Drei Werke zwischen São Paulo und dem Bundesstaat Paraná, die alleine schon fünfzig Prozent des in Brasilien verarbeiteten Eisens produzierten. Das Eisen war gut und– verglichen mit dem europäischen– auch preiswert. Als vor ein paar Jahren der Real gegenüber dem Dollar an Wert verloren hatte, war der Export deutlich in die Höhe geschossen. Dann war der Real allerdings wieder gestiegen, und die internationalen Geschäfte hatten an Schwung verloren. Außerdem wurde der Markt von China attackiert. Es musste also eine aggressive Unternehmenspolitik her. Falls Bruno einschlug, würde man ihm die Aufgabe übertragen, den gesamten Industriesektor umzukrempeln– eine Aufgabe, für die er allerdings denkbar ungeeignet war.
Bruno erinnerte sich noch gut an die Versammlung, in der ihm sein Vater das Angebot auf einem Silbertablett präsentiert hatte. Paulo Johannsen war ein großes Risiko eingegangen, als er die Option während der Verwaltungsratssitzung ins Spiel gebracht hatte. Er hatte es getan, um das Signal auszusenden, dass die Familie ein entscheidendes Gewicht in der Unternehmensgruppe besaß. Außerdem hatte er es als Vertrauensgeste gegenüber seinem Sohn verstanden. Bruno aber hatte abgelehnt. Und die zweite Option gewählt.
Das Unternehmen seines Vaters hatte zu einem sehr vorteilhaften Preis eine der wichtigsten Supermarktketten des Landes gekauft. Es handelte sich um eine alte, fest im Land verwurzelte Kette mit einem gewaltigen Kundenstamm, die jedoch komplett umstrukturiert werden musste. Wie Bruno es sah, waren die Kunden bereit, sich zusammen mit der Marke manipulieren und umformen zu lassen. Dieser Herausforderung wollte er sich gerne stellen. Eisen hingegen verursachte ihm regelrecht Ekel. Wenn er nur an die erbarmungslose, monotone, dreckige Arbeit an den Hochöfen dachte, wurde ihm schon übel. Bruno hasste Eisen. Was er liebte, war die Erde.
Lächelnd hatte er seine Wahl damit begründet, dass der Großhandel eine gute Übung sei, um später Verantwortung in wichtigeren Unternehmensbereichen übernehmen zu können. Noch jetzt erinnerte er sich an das finstere Gesicht, mit dem sein Vater damals die Sitzung verlassen hatte.
Bruno Johannsen bat den Taxifahrer, ihn ins Magnetic zu bringen, in einer Querstraße der Oscar Freire. Dann ließ er sich in die Polster zurücksinken und betrachtete die nächtlichen Lichter der Stadt. Als er an der Disco ankam, warf er einen mitleidigen Blick auf die Verrückten, die mit ihrem Porsche oder Lamborghini vorfuhren, um die Schlüssel dann dem Mann vom Parkservice zu überlassen. Wie konnte man so blöd sein, eine Million Reais für einen solchen Boliden hinzublättern, wo die Stadt doch ohnehin vom Verkehr lahmgelegt war?
Bruno Johannsen bezahlte und begab sich zum Eingang des Clubs, wo zwei Bulldoggen Wache schoben. Um ihn kümmerte sich allerdings eine Frau um die dreißig, kurze Haare, eng anliegendes Kleid, professionelles Auftreten. Sie begrüßte ihn mit dem gebührenden Respekt und vergewisserte sich anhand ihrer Liste, dass der reservierte VIP -Salon auch tatsächlich zur Verfügung stand. Es gab keinen besonderen Grund, warum er ausgerechnet ins Magnetic ging, außer dass es im Moment der angesagteste Club war. Das wiederum bedeutete, dass dort die meisten kopulationswilligen Kätzchen aufkreuzten.
Im Inneren dominierten Schwarz, Dämmerlicht, ohrenbetäubende Musik und die glitzernde Bar. Brunos Plan sah vor, eine gewisse Zeit am Tresen zu bleiben und irgendwann mit ein paar Kätzchen die Schwelle zum VIP -Salon zu überschreiten.
Der VIP -Salon verlangte den Konsum von mindestens fünf Flaschen französischen Champagners, die man dem Kunden, wenn er sie nicht alle am selben Abend trank, auf einem speziellen Konto gutschrieb.
Bruno trug ein weißes Seidenhemd und eine enge schwarze Jeans. Er nippte an seinem eiskalten Wodka und schaute sich um. Die Musik überdeckte jedes andere Geräusch. Die Tanzfläche wurde beherrscht von einer eleganten, vorwiegend weißen Fauna, die mit geschlossenen Augen im monotonen
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