Durst: Thriller (German Edition)

begonnen. Die Demokratie war zweifellos eine gute Sache, aber es war nicht mehr so leicht zu durchschauen, wer Freund und wer Feind war.
    Der Kellner, der wie ein unsichtbarer Schatten auf der Lauer lag, schenkte dem alten Josef ein weiteres Glas von dem chilenischen Cabernet mit der herrlichen Farbe von Blaubeeren ein. Josef trank. Dann fragte er seinen Sohn: » Braucht Miller-Johannsen denn neue Gesellschafter? «
    Paulão verspürte einen gewissen Ärger über die Frage seines Vaters. Er aß seine Zwiebelsuppe auf und kratzte mit dem Löffel sorgfältig die Reste heraus.
    » Wir brauchen ein wenig Luft, Papa. « Dann lächelte er. » Ich habe alles unter Kontrolle, da kannst du ganz beruhigt sein. Möchtest du einen Nachtisch? Die Crème au Caramel hier ist ein Traum. «
    Sein Vater schüttelte den Kopf. » Nein danke. Ich bin fertig. «
    In einer der folgenden Nächte stand Paulo Johannsen vor der Scheibe, die auf den perfekt bewässerten Garten hinausschaute, und dachte daran, wie er seinem Vater die Situation dargelegt hatte. Eigentlich hätte er ihm gar nichts erzählen müssen. Wenn er aber in den zehn Jahren, in denen er das Unternehmen nun alleine steuerte, etwas gelernt hatte, dann, dass er es später bereuen würde, wenn er es nicht getan hätte.
    Das Unternehmen machte schwere Zeiten durch. Ausländische Konsortien fielen immer aggressiver in die brasilianische Wirtschaft ein, und die Wasserkraftwerke wurden praktisch zermalmt im bürokratischen Fleischwolf der Umweltbestimmungen und Verwaltungsinstanzen. Das Geld, das man ausgab, um sich vor Gericht zu behaupten und das Beziehungsgetriebe zu schmieren, überstieg die Einnahmen bei weitem, und so stand Miller-Johannsen bei den Banken erheblich in der Kreide.
    Diesem Metallgewerkschafter wiederum, diesem Lula, der es nach drei Anläufen geschafft hatte, zum Präsidenten gewählt zu werden, hatten die Skandale vor einem Jahr nichts anhaben können, sodass er jetzt wahrscheinlich sogar wiedergewählt wurde. Man musste allerdings zugeben, dass er die alten Verhältnisse nicht allzu sehr aufgemischt hatte– im Gegenteil. Trotzdem hatte sich in Teilen der Regierung, vor allem im Bereich des Umweltschutzes und der Konzessionen, der üble Gestank des Kommunismus ausgebreitet. Und die Bundespolizei entwickelte sich zu einer wahren Plage. Unter der Regie des Justizministers wurde sie mittlerweile wie eine Art Fernsehshow in Szene gesetzt, um der Nation zu zeigen, dass die Regierung nicht korrumpierbar war. Was denken die wohl, wer die sind, diese Idioten? Das FBI ?
    Es war also absolut sinnvoll, dachte Paulo Johannsen, nach neuen Verbündeten zu suchen, jenseits der alten Logik und der bewährten Muster.
    Nur in einem Detail hatte er seinen Vater belogen: Nicht er hatte Kontakt zum Drachen aufgenommen, sondern umgekehrt.
    Zwei Tage später um die Mittagszeit nahm ein eleganter Mann um die vierzig vor ihm Platz. Volle Lippen, ausgeprägte Geheimratsecken, erstaunlich intensiver Blick. Der Mann lächelte und schaute sich um.
    » Ein schönes Restaurant. «
    » Ja, und vor allem diskret. «
    Paulo Johannsen und der Anwalt Antônio Netto saßen an einem quadratischen Tisch in einem der Separees des Luciano, eines exklusiven Italieners in unmittelbarer Nähe der Haddock Lobo.
    Zuerst war der Sommelier auf dem Plan erschienen und hatte ihnen– erfolgreich– eine Flasche zu zweihundertfünfzig Reais angepriesen. Dann kam der Kellner und nahm die Bestellung auf, was vergleichsweise schnell ging. Paulão aß häufiger dort und hatte seine Lieblingsgerichte. Als sie endlich alleine waren, eröffnete Johannsen das Gespräch.
    » Hast du die Fotos? «
    » Nicht nur die « , sagte Netto lächelnd. » Wir haben auch einen Film. «
    » Handelt es sich denn wirklich um unseren Mann? «
    Netto unterdrückte eine überraschte Reaktion. » Sicher. Mein Mann würde sich in einer solchen Angelegenheit nie vertun. «
    » Und der Preis? « , fragte Johannsen und konzentrierte sich darauf, eine eiskalte Butterlocke auf ein Stück Brot zu schmieren.
    » Wie verabredet. Es ist alles in Ordnung, Doktor, machen Sie sich keine Gedanken. «
    Nun entspannte sich Paulão Johannsen. Kaum etwas verschaffte ihm so viel Genugtuung wie der Spaß, einen Sonderermittler der Bundespolizei wie seinen letzten Laufburschen zu behandeln. Und der Mann, den Netto aufgespürt hatte, war der Laufbursche der Stunde.
    » Zeig mir die Fotos. «
    » Hier? «
    » Nur keine Angst. Los, hol sie vor und zeig sie