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Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Titel: Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moira Young
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wir fast in der Mitte vom Hügel sein. Am Ende von einem langen Gang macht der Mann mit der Laterne eine Tür auf, und wir gehen durch. Zwölf Köpfe fahren zu uns rum. Zwölf Kreise mit Kreuzen drin. Verweser der Erde. Sechs Jungen und sechs Mädchen. Jung und stark, in schlichten Kleidern. Die rechten Fäuste fliegen auf die Herzen. »Lang lebe der Wegbereiter!«, sagen sie. Die beiden Tonton grüßen genauso.
    Ich bin an der Tür stehen geblieben, ein Fuß drin, einer draußen. Nicht nur mein Begleiter hält eine Laterne, sondern auch ein paar von den Verwesern, deshalb ist der Raum gut beleuchtet. Er ist nicht lang und schmal wie die anderen Räume, durch die wir gegangen sind. Der hier ist groß, vielleicht zwanzig Schritt breit. Er hat glatte weiße Wände und ist mehr oder weniger quadratisch, nur die Ecken sind abgerundet. Decke und Boden sind auch weiß.
    Ich merk, dass mich alle anstarren. Wachsame Blicke. Alle starren auf meine Geburtsmondtätowierung.
    »Diejenige, die der Wegbereiter gesucht hat, ist gekommen«, sagt der Laternenmann. »Sie ist sein Ehrengast. Bitte«, sagt er zu mir, »komm rein.«
    Als ich das tu und den Leuten zunick, weichen sie zurück. Keiner will zu nahe beim Todesengel stehen.
    Der zweite Tonton macht die Tür hinter uns zu. Sie verschwindet. Verschmilzt mit der glatten Wand.
    »Es ist so weit«, sagt er.
    »Stellt euch an den Wänden auf«, sagt der erste Tonton. »Mit dem Rücken zur Wand. Genau. So. Blast eure Laternen aus.«
    Sie pusten, und das Licht geht aus. Wir stehen im Dunkeln. In einer Schwärze, die noch schwärzer als schwarz ist.
    Es ist still. Stiller, als ich es je erlebt hab. Ich hör nur meinen Herzschlag. Links von mir, wo die Tür ist, spür ich plötzlich einen kalten Luftzug. Nehm einen schwachen Wacholdergeruch wahr. DeMalo ist reingekommen. Dann wieder Stille. Dann. Ein winziges Lichtpünktchen an der Decke. Genau in der Mitte. Ein Vogel fängt an zu singen. Ich zuck zusammen. In diesem dunklen Zimmer unter dem Hügel singt ein Vogel. Wie ist der hier reingekommen? Und ich weiß auch nicht, was das für ein Vogel ist. Diesen Gesang hab ich noch nie gehört. Noch ein Vogel singt. Ein anderer Gesang. Dann ein dritter, wieder mit einem anderen Gesang.
    Das Lichtpünktchen wird zu einem schwachen Strahl. Jetzt kann ich langsam DeMalo sehen, der mitten im Raum steht, genau darunter. Er nimmt einen durchsichtigen, glasartigen Steinklumpen auf. Der Lichtstrahl fällt drauf. Der Stein fängt an, in einem hellrosa Licht zu glühen. Und es ist nicht nur der Stein, der rosa glüht. Es ist der ganze Raum. Vor uns, neben uns, hinter uns. Es wird immer heller und kräftiger.
    Die Verweser murmeln und sind zappelig. Jetzt wird das Licht stärker, verändert sich zu dunkelblau, zu rot und gold. Überall um uns rum. Ich kann jetzt sehen, dass es die Wände sind. Sie verändern sich.
    Die Vögel singen immer noch. Und irgendwas ist dazugekommen, was kein Vogel ist. Klingt wie ein Wimmerholz. Es singt mit den Vögeln zusammen. Ich kann nicht sagen, wo es herkommt. Es ist einfach … hier. Im Raum. Langsam und schön. Das Schönste, was ich je gehört hab.
    Das Licht wird heller. Heller und heller. Golden, gelb.
    Es ist die Morgendämmerung. Sie breitet sich auf den Wänden und überall im Raum aus. Der Vogelgesang hört auf, und stattdessen kommen noch mehr Wimmerhölzer dazu. Auch andere Instrumente. Es ist so schön, es jagt mir Schauder den Rücken rauf und runter.
    Die Musik wird immer lauter, immer schneller.
    Plötzlich springt uns Grün an. Einen Augenblick lang oder zwei weiß ich nicht, was das ist. Dann seh ich’s. Es ist Grasland. Aber ich seh es so, wie Nero es wahrscheinlich sieht. Von oben. Überall um mich rum, an den Wänden, seh ich Grasland und blauen Himmel und Wolken, wie ein Vogel von oben. Ich beweg mich schnell, wie der schnellste Vogel, der je geflogen ist. Das Brausen vom Wind mischt sich unter die Musik.
    »Ich bin ein Vogel!«, flüster ich. »Ich bin ein Vogel! Oh!« Ich dreh mich hierhin und dorthin, weil ich alles sehen will, alles, überall um mich rum. Die anderen tun das Gleiche und rufen vor Staunen. Ich fang DeMalos Blick auf. Er lächelt. Ich lach.
    Große Büffelherden donnern über die Ebenen. Vor mir sind Berge. Riesige Berge mit Schnee auf den Gipfeln. Wir fliegen drüber weg, zwischen sie rein, vorbei an Adlern am Himmel. Wir segeln auf dem Wind, auf der Musik. Da sind Tiere, die ich noch nie gesehen hab. Zottelige Tiere mit großen

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