Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Rücken zu mir da. Ich husch zum Bett und schäl mich aus den durchweichten Sachen. Rubbel mir mit der Decke die klamme Feuchtigkeit von der Haut. Mir ist kalt bis auf die Knochen. Mir ist noch nie so kalt gewesen. Unbeholfen zieh ich ein weiches Hemd an, das mir bis über die Knie geht, und dicke Socken. Sie sind sauber. Sie riechen schwach nach ihm. Jetzt weiß ich, was das ist. Wacholder.
»Komm, setz dich ins Warme«, sagt er.
Ich sause zum Stuhl am Ofen. Zieh die Knie an die Brust und das Hemd über die Knie. Zitternd schling ich die Arme um die Knie. Er geht zum Bett und zieht auch die nassen Kleider aus. Ich kann ihn hören. Wenn ich den Kopf drehen würde, nur ein kleines Stückchen, könnte ich ihn sehen. DeMalo. Der seine Kleider auszieht, nur ein paar Schritt von mir entfernt. Was Seltsameres kann ich mir nicht vorstellen.
Ich bin nicht geflüchtet. Ich bin nicht weggelaufen oder hab gegen ihn gekämpft oder versucht ihn zu töten. Ich hätte erwartet, dass die rote Hitze anspringt, sobald ich seh, wer mich da aus dem Wasser gezogen hat. Aber nein. Keine Spur davon.
Das sieht mir gar nicht ähnlich. Aber ich bin mir ja auch nicht mehr ähnlich. Ich bin … ein Ich, das ich noch nie gewesen bin. Ich fühl mich befreit. Leicht. Frei. Frei von Lugh und Jack und allen anderen, die was von mir erwarten. Die von mir erwarten, dass ich bin, was sie wollen. Ich schulde ihnen nichts. Im Augenblick gibt es keine Welt außerhalb von diesem Zelt. Es ist, als ob alles und jeder verblasst wär. Verschwunden. Außer DeMalo. Und mir. Und plötzlich weiß ich, dass ich hier sein soll. Genau hier. Genau jetzt.
Alle Straßen führen an denselben Ort.
»Schon besser«, sagt DeMalo. Ich guck zu ihm. Er zieht gerade ein trockenes Hemd übern Kopf. Ich seh eine Tätowierung auf seiner glatten Brust. Eine rote aufgehende Sonne, gleich über seinem Herz. Beim Anblick seines Körpers schlägt mein eigenes Herz schneller.
Er sammelt meine nassen Kleider auf, die ich auf einem Haufen liegen gelassen hab, und hängt sie zusammen mit seinen eigenen in der Nähe vom Ofen zum Trocknen auf. Wasser tropft an einer Ecke durchs Zeltdach. Er stellt einen Becher drunter. Er zieht den Stöpsel aus einer grünen Flasche und gießt eine dunkelrote Flüssigkeit in zwei Gläser. Zieht sich einen Hocker ran, setzt sich drauf und gibt mir eins der Gläser.
»Auf Zufallsbegegnungen«, sagt er.
»Auf den Zufall«, sag ich.
Wir trinken. Die Flüssigkeit läuft mir über die Zunge, warm und würzig, weich und dunkel. Wie ein trauriges Lied. So was hab ich noch nie geschmeckt. »Was ist das?«
»Wein.« Er hält sein Glas ins Licht. »Sehr alt, sehr selten. Ein Flüstern aus einer verlorenen Welt.«
Der Regen fällt. Die Luft ist schwer vom Unwetter. Drückend.
Wir trinken noch ein bisschen. Es schmeckt herrlich. Mir ist schon ein bisschen wärmer. Ich fühl mich ein bisschen kecker. »Hast du einen Namen? Außer DeMalo, mein ich.«
»Seth. Aber so hat mich schon lange niemand mehr genannt.«
»Seth«, probiere ich ihn aus. Ich heb mein Glas in seine Richtung. »Danke, dass du Nero gerettet hast.«
»Was ist mit dir? Kein Dank dafür, dass ich dich gerettet habe?«
Ich sag nichts. Ich halt weiter die Knie umschlungen und trink den Wein.
»Drei«, sagt er.
Ich guck ihn an.
»So viele Male habe ich dir das Leben gerettet«, sagt er. »Einmal in Freedom Fields, einmal vor Vikar Pinch und gerade eben.«
Die Dreierregel. Wenn man jemand dreimal das Leben rettet, gehört einem sein Leben. Nein. Das ist bloß Jacks bescheuerter Quatsch.
Denk den Namen nicht mal. Betrogen. Getäuscht. Ich hasse ihn.
Der Regen prasselt aufs Zelt. Wasser tropft, tropft, tropft in den Becher. Holz knackt und knistert im Ofen. Ich starr in den Wein. »Warum hast du das getan?«, frag ich. »Mich die drei Mal gerettet? Das hättest du nicht tun sollen. Wir sind nicht auf derselben Seite gewesen. Sind wir immer noch nicht.«
»Auf welcher Seite bist du denn neuerdings?«, fragt er.
»Auf keiner.«
»Nicht einmal auf deiner eigenen, wie mir scheint«, sagt er.
»Das ergibt doch alles keinen Sinn«, sag ich. »Dass du freundlich zu mir bist. Nero versorgst. Warum hast du mich nicht ertrinken lassen? Bist du nicht der, der ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt hat?«
»Doch.«
»Und warum dann das alles? Was jetzt? Was willst du von mir?«
Wir gucken uns an. Ich kann seine Wärme riechen. Seine Haut. Seine Haare. In meinem Blut fängt was Altes an zu summen.
Der
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