Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
guck ich über die rechte Schulter.
Ein kleines Stück hinter mir hebt sich eine gezackte Gestalt vom Boden ab. Sie ist schwarz. Als wenn sie aus einem Nachthimmel ausgeschnitten wär. Es ist ein Pferd. Mit Reiter.
Das Herz hämmert mir gegen die Rippen. Ich glotz. Es ist zu früh für so große Schatten. Schnell guck ich weg. Ich bekomm so einen Druck im Magen, mir ist übel. Hermes schnaubt und wirft den Kopf hoch. Er ist nervös. Das sieht ihm nicht ähnlich. Ich geb ihm die Fersen, und er läuft schneller. Die Hufe hinter uns auch. Ich guck zurück.
Die schwarze Gestalt hält Schritt.
Ich kenn diesen Hals. Den Kopf. Wie oft sind wir zusammen geritten, als sie noch geatmet hat, und ich hab mich genau wie jetzt umgeguckt. Dann hat sie gelächelt oder was gesagt, um mich aufzuheitern.
Epona.
Ich lass Hermes anhalten. Die Schattenreiterin hält auch an. Ich guck runter auf meine Hände auf den Zügeln. Sie zittern.
»Epona, was willst du von mir?«
Schweigen. Nero fliegt über mir. Er macht krächz, krächz, krächz. Ob er sie auch sieht?
Meine Armbrust zu zerbrechen reicht nicht. Ich muss richtig bezahlen für das, was ich getan hab. Sie wird mit mir Schritt halten. Mir auf Schritt und Tritt folgen. Mich nachts heimsuchen und mir tagsüber an den Fersen kleben, bis ich mich hinleg, ihr die Kehle hinhalte und sie anfleh, mich zu erledigen. Ich muss für ihren Tod mit gleicher Münze bezahlen.
»Warum soll ich am Leben bleiben, wenn du tot bist?«, frag ich. »Das ist es doch, oder? Ich weiß, ich hab kein Recht darauf.«
Ihr Zaumzeug klirrt. Hermes macht einen Schritt zur Seite, verdreht die Augen und wirft den Kopf hoch. Ich pack die Zügel fester.
»Sag mir, was ich tun soll. Bitte, Epona. Sag irgendwas.«
Ich zitter am ganzen Körper. Mir ist kalt bis in die Knochen. Langsam, ganz langsam, guck ich mich noch mal um.
Sie ist weg.
E pona reitet jetzt seit zwei Tagen mit mir. Und mittlerweile nicht mehr nur sie. Es sind mehr geworden.
Eine nach der anderen sind sie aufgetaucht. Aber diese anderen sind nicht zu Pferd wie Epona. Sie gehen zu Fuß. Sie verstecken sich, bleiben immer knapp außer Sicht. Oder ich erhasch einen flüchtigen Blick auf irgendwas – hier blitzt was hell auf, da stürzt was Dunkles vorbei –, wenn sie gerade hinter einen Fels oder einen Baum flitzen. Ich hör rennende Füße. Gelächter. Als ob sie ein Spiel spielen würden.
Richtig sehen kann ich sie nie. Sie sind zu schnell.
Ich weiß, wer sie sind. Helen. Helen und die anderen aus Hopetown. Jede Frau, gegen die ich je im Käfig gekämpft hab. Jede Frau, die ich besiegt hab. Und ich hab sie alle besiegt.
Sie nennen mich den Todesengel. Weil ich noch nie einen Kampf verloren hab.
Wenn man dreimal verloren hatte, hat man in den Spießrutenlauf gemusst. Niemand hat den Spießrutenlauf überlebt. Die gierigen Hände der Zuschauer haben an ihnen gerissen, haben sie runtergezogen. Ich hab mich immer weggedreht, damit ich’s nicht sehen muss. Aber ich hab’s gehört. Ich hab alles gehört. Es hat sich alles in mir festgesetzt. Jede Berührung und jeder Geruch und jeder Geschmack und jedes Geräusch. Jede Frau, gegen die ich gekämpft hab, ist jetzt ein Teil von mir. Ich bin die Angst in ihren Augen, ihr Lebenshunger, der Geruch von Tod auf ihrer Haut.
Und jetzt sind sie alle hier. Es ist eine Erleichterung, sie zu sehen. Zumindest weiß ich jetzt, wer die Schatten sind. Wer das Flüstern im Wind gewesen ist, seit wir im Ödland sind. Sie warten auf die Gelegenheit, sich an mich ranzumachen. Mich zu holen. Ich bin so müde. Ich kann sie nicht mehr lang fernhalten.
Sie sind dreist. Emmi kann neben mir reiten, oder Lugh oder Tommo, und sie spielen trotzdem ihre Streiche. Vorhin ist eine direkt vor Hermes vorbeigesaust. Wenn ich nicht an den Zügeln gerissen hätte, wär sie zertrampelt worden.
Ich versuch, nachts nicht zu schlafen. Wenn ich nicht schlaf, kann auch keiner kommen und mich holen. Mich von Lugh und Emmi und Tommo wegholen. Oder sie mir wegnehmen. Wir sind alle in Sicherheit, so lang ich wach bleib.
Aber manchmal überwältigt mich die Erschöpfung. Nicht lang, aber dann träum ich von Jack. Fiebrige Träume, dicht an der Oberfläche. Oder … oder vielleicht sind es Wahrträume. Sie sind immer gleich. Er sitzt in der Dunkelheit fest. Nein, das ist falsch – die Dunkelheit hält ihn gefangen. Ich lauf durch die Gänge, die Treppen rauf. Mach die Tür auf. Und such nach ihm. Ich such und ruf seinen Namen,
Weitere Kostenlose Bücher