Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
aber ich find ihn nie.
Nie find ich zu Jack.
Dunkle Träume nachts. Dunkle Schatten am Tag.
Die Tage und Nächte verschmelzen miteinander, bis ich kaum noch weiß, ob ich schlaf oder wach bin. Wenn die Sonne nicht auf- und untergehen würd, wüsst ich’s vielleicht gar nicht.
I
ch renn. Ich muss Jack finden. Ich weiß, er ist hier.
Durch einen langen dunklen Gang. Fackeln werfen zuckende Schatten an die Steinwände. Die einzigen Geräusche mach ich. Meine Schritte. Mein Atem. Ich hab den Herzstein in der Hand. Er ist warm. Das bedeutet, Jack ist ganz in der Nähe.
»Saba.«
Die Stimme streicht auf einem Schwall kalter Luft an mir vorbei. Die Wandfackeln flackern. Ich bleib stehen. Ich steh am Fuß einer Steintreppe. Sie ist steil, führt in scharfen Kurven nach oben.
»Saba. Saba.«
Die Stimme läuft an den Wänden lang und mein Rückgrat hoch. Setzt sich an den dunklen Stellen tief in mir drin fest. Als würd sie da hingehören. Jacks Stimme. Oder … nein, ich bin nicht sicher. Ich weiß nur, ich hab sie schon mal gehört. Aber ich weiß nicht mehr, wo oder wann.
Ich umklammer den Herzstein noch fester.
»Jack!« Ich nehm eine Fackel von der Wand, leuchte die Treppe rauf. »Bist du das? Bleib da, ich komm!«
»Beeil dich, beeil dich, beeil dich.« Die Stimme läuft mir über den Nacken, kribbelt auf meinen Armen. Ich geh die Treppe hoch. Als ich oben ankomm, ist da eine Holztür. Alt, zerkratzt.
Ich halt den Herzstein hoch. Er ist jetzt glühend heiß. Er ist auf der anderen Seite. Ich hör einen Herzschlag, in meinem Kopf, um mich rum, überall. So laut.
»Jack, bist du da?«
Ich dreh den Knauf. Schieb die Tür auf.
Sie wird mir aus der Hand gerissen. Ich schrei auf. Mach mich bereit. Der Wind zerrt die Tür aus den Angeln und schleudert sie in die Dunkelheit.
Die Tür führt ins Nichts.
Ich bin oben auf einem Turm. Um mich rum ragen zerklüftete Berge auf. Unten gähnt ein tiefer Abgrund. Alles ist Leere, unendliche Weite, Schwärze.
Ich klammer mich an den Türrahmen. Der Wind zerrt an mir, zupft an mir, kreischt seine Wut raus.
»Jack!«, schrei ich. »Jack!«
Dann fall ich. Und fall. Und fall.
L ugh hat uns heute mächtig angetrieben. Der Ritt ist lang und anstrengend gewesen. Als wir das Lager hinter einem verrosteten Schiffsrumpf aufgeschlagen haben, der in uralter Zeit hier gestrandet ist, ist es schon dunkel gewesen. Er bietet im Umkreis von Meilen den besten Schutz, aber die Scharfwinde finden uns trotzdem. Sie heulen uns um die Ohren und peitschen uns ins Gesicht mit ihrem hitzigen Biss. Wolken sausen über den Himmel. Reißen vor dem Mond auf. Heute Nacht gibt’s keine Sterne. Ein Wolfshund heult nicht weit von uns.
Ich hock am Rand vom Lager. Kehr den anderen den Rücken zu. Wenn sie was merken, kommen sie gleich wieder her, schnüffeln rum und stellen Fragen. Sie beobachten mich die ganze Zeit. Ich kann nichts tun, ohne dass jemand seine Nase reinsteckt.
Ich muss das abbekommen. Das Blut an meinen Händen. Seifenblatt in kochendem Wasser, Schachtelhalm … nichts davon hilft. Das getrocknete Blut ist so dunkel, dass es fast schwarz ist. Unter meinen Nägeln auch. Es ist mir heute aufgefallen, als ich mit Epona geredet hab. Ich muss sie mir schmutzig gemacht haben, als ich die Wolfshunde zerlegt hab. Muss sie sauber kriegen, bevor Lugh was sieht. Er nimmt das so genau. Er hat immer gesagt, kann sein, dass Pa sich nicht drum kümmert, aber deswegen können wir Kinder trotzdem anständig aussehen.
Ich grab mit einem Stöckchen unter den Nägeln. »Komm schon«, murmel ich, »komm schon, beweg dich, du Halunke.« Aber es hilft nichts. Ich nehm einen rauen Stein und fang an, mir die Arme und die Handflächen abzuschrubben. Verdammt, warum geht das nicht ab? Ich knirsch mit den Zähnen und schrubb heftiger. Guck mich um. Guck nach, ob jemand was merkt.
Alle starren mich an. Tommo, Lugh und Emmi. Sie sitzen mit ihren Essnäpfen ums Feuer rum.
»Was ist?«, frag ich.
»Tommo hat dich dreimal gerufen«, sagt Lugh.
Ich geh zu ihnen. Sie sind fast fertig. Tommo tut Präriehundeintopf in meinen Napf. »Hey«, sag ich, »wenn das nicht gut aussieht, Tommo. Ich hab so einen Hunger, ich könnt meine Stiefel essen.«
Das ist gelogen. Ich hab gar keinen Hunger. Neuerdings hab ich nie Hunger. Das meiste kipp ich heimlich Nero hin.
Als ich mein Essen nehmen will, sagt Tommo: »Saba! Deine Hände!«
Ich halt sie hinter den Rücken. Plötzlich ist mir heiß. Im Gesicht, am Hals, an
Weitere Kostenlose Bücher