Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Tracker uns hergebracht hat?«
Tracker sitzt neben uns. Sein Kopf dreht sich immer zu dem um, der gerade was sagt, als ob er uns versteht. Jetzt steht er auf. Bellt dreimal. Geht zum Rand vom Abhang, winselt, dann kommt er wieder zu uns zurück. Bellt noch mal.
»Seht ihr?«, fragt Emmi. »Er will, dass wir da runtergehen.«
»Tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt hab«, sagt Lugh zu mir. »Es ist bloß … dass er so weit weg von zu Hause ist, ist mir unwahrscheinlich vorgekommen.«
»Ich hab selbst schon fast gedacht, ich hätt ihn mir nur eingebildet«, sag ich.
»Mercy muss da unten sein«, sagt Emmi. »Im Lager. Ich wette, sie ist da!«
Nero stürzt auf uns runter und fliegt wieder hoch. Er krächzt, wir sollen uns in Bewegung setzen.
»Wir sollten das erst mal erkunden«, sagt Tommo. »Nachgucken, ob es auch sicher ist. Ich geh.«
»Nein, ich mach das«, sagt Lugh. »Ihr wartet alle hier.«
»Manchmal seid ihr Jungs so dumm wie Brot«, sagt Emmi. »Tracker hat uns hierhergeführt, damit wir Hilfe für Saba bekommen. Das hätte er nicht getan, wenn’s nicht sicher wär.«
»Komm mir nicht mit so einem Geschwafel«, sagt Lugh. »Ich schwör dir, Em, zwischen deinen Ohren ist so viel Luft, du würdest gesunden Menschenverstand nicht mal dann erkennen, wenn er sich vor dich stellt und dir ins Gesicht schlägt. Tommo hat recht, wir müssen erst nachgucken.«
»Das hast du also?«, fragt Em. »Gesunden Menschenverstand?«
»Darauf kannst du wetten«, sagt er.
»Dann bin ich froh, dass ich nichts davon hab.« Emmi nimmt meine Zügel. »Na komm, Saba, ich besorg dir Hilfe. Die beiden Jungs können tun, was sie wollen.« Sie lässt ihr Pferd kehrtmachen und führt mich den Abhang runter.
Im Osten braut sich ein Gewitter zusammen. Es fasst uns ins Auge. Und kommt in unsere Richtung.
Der Snake River
W ir reiten auf das Lager zu. Emmi und Tracker übernehmen die Führung. Ich komm dahinter, und Nero sitzt auf meiner Schulter. Tommo und Lugh sind die Nachhut. Hermes stört sich jetzt überhaupt nicht mehr an Tracker. Man könnte fast sagen, sie sind Freunde. Und das ist schon komisch. Unter den gegebenen Umständen.
Als wir näher kommen, stürzt ein Rudel räudiger Köter auf uns zu. Tracker knurrt sie warnend an. Mit gebleckten Zähnen, die Nackenhaare aufgestellt. Sie jaulen und ziehen sich fix und mit eingezogenen Schwänzen zurück.
Am Rand des Lagers spielt ein Haufen zerlumpter Kinder lärmend Ball. Der Staub fliegt nur so, während sie schubsen, treten und ringen. Derbe Regeln. Als wir näher kommen, bemerken sie uns. Sie hören auf zu spielen. Bleiben stehen. Starren uns an. Eine völlig zerlumpte Vogelscheuche von einem Mädchen etwa in Emmis Alter glotzt mich an. Als ob sie ihren Augen nicht traut.
»Hallo«, sagt Emmi. »Könnt ihr mir sagen, wo wir –«
»Das ist der Todesengel!«, brüllt das Mädchen. »Lauft weg!«
Die Kinder zerstreuen sich. Sie rennen auf die Zelte zu und brüllen: »Der Todesengel! Sie ist hier! Ma! Der Todesengel!«
Sie verschwinden in den Zelten. Stille.
Emmi sieht sich zu mir um. »Sie hat dich erkannt. Sie muss in Hopetown gewesen sein.«
»Netten Ruf hast du da«, sagt Lugh.
»Saba ist die berühmteste Kämpferin der Welt«, sagt Em. »Wenn sie gekämpft hat, hat man sich in Hopetown kaum rühren können. Die Leute sind von überallher gekommen, bloß um –«
»Halt die Klappe, Emmi«, sagt Lugh.
»Ich sag ja nur –«
»Nichts sagst du«, sagt er. »Ab jetzt sag ich, was gesagt werden muss.«
Er kommt neben mich. Langsam reiten wir weiter ins Lager. Zwischen den beiden Zeltreihen ist ein großer Abstand, wie eine Straße. Da reiten wir durch. Alles ist still. Keine Menschenseele in Sicht. Keiner beaufsichtigt die Töpfe, die über den Kochfeuern brodeln. Ein paar Schemel liegen am Boden, als ob die, die drauf gesessen haben, überstürzt weggelaufen wären.
Wir rücken dichter zusammen.
»Wo sind denn alle?«, fragt Em.
»Hinter uns«, flüstert Tommo heiser.
Wir gucken uns um. Eine Menschenmenge ist aufgetaucht. Männer, Frauen und Kinder. Vertrocknete Hülsen von Menschen. Mit Angst im Blick und Waffen in der Hand. Stock und Stein, Flasche und Gebein.
Tracker knurrt. Läuft auf sie zu.
»Tracker, bleib hier!«, ruft Lugh ihm zu. »Guten Tag, Leute. Wir wollen keinen Ärger machen. Gibt’s hier jemand, der das Sagen hat?«
Sie antworten nicht. Ein Mann ganz vorn fängt an, zwei Stöcke aneinanderzuschlagen. Andere machen mit. Holz.
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