Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
ihr Erstgeborener, das Kind ihrer Seele. Sie hat ihn Lugh genannt. Lugh, Lugh mit deinen Augen, so blau, ich könnt davonsegeln auf deinen Augen.«
Lugh bleibt wie angewurzelt stehen. Er steht mit dem Rücken zu Auriel. Mit angespanntem Rücken und hochgezogenen Schultern. Er kann nicht sehen, was sie tut.
Sie steht reglos da, die Augen aufgerissen. Man sieht, dass sie irgendwas hört. Ihre Stimme klingt wie flaches Wasser, das über Steine plätschert. Schnell, leicht. Hin und wieder schüttelt es sie.
Ich hab eine Gänsehaut am ganzen Körper. Sie spricht von Ma. Von dem Lied, das sie sich ausgedacht und Lugh vorgesungen hat, als wir klein waren. Auriel spricht weiter.
»Aber sie hat nicht bleiben können. Sie hat das Kind geboren, dann hat sie zwei Tage lang geblutet und ist gestorben. Verlass mich nicht, süße Allis, verlass mich nicht, mein Herz, meine Seele, mein Leben. Armer Willem, ihr Tod hat ihn vernichtet, danach ist er nicht mehr derselbe gewesen. Liebe macht einen schwach. Wer will schon so werden? Ich werde nie jemanden lieben. Das ist besser.«
Sie verstummt, ihr Blick ist benommen. Sie schwankt ein bisschen, und Emmi fängt sie auf. Meine Haut kribbelt. Wir starren sie an, ich, Em und Tommo. Sie hat von unserem Leben erzählt. Wie Ma gestorben ist. Wie Pa gewesen ist. Was Lugh immer sagt.
Langsam dreht Lugh sich wieder um. Er ist bleich. Seine Augen sind ganz dunkel vor Entsetzen. Seine Stimme ist ein verletztes Flüstern: »Wie kannst du es wagen?«
»Sie ist keine Schwindlerin«, flüstert Emmi.
»Ich will hierbleiben«, sag ich. »Bitte, Lugh.«
»Zwei Tage und zwei Nächte«, sagt er zu Auriel. »So viel Zeit hast du. Ab jetzt. Und ich werd dich im Auge behalten. Ich werde meine Schwester beschützen. Und wenn du ihr was tust, tu ich dir zehnfach was, ist das klar?«
Auriel nickt.
»Ich brauch Luft«, sagt er. »Komm, Tommo.«
Damit verschwindet Lugh in der regnerischen Nacht.
Und ich merk plötzlich, dass ich immer noch an Tommos Schulter lehne. Er ist so groß wie ich. Das ist mir bis jetzt nicht aufgefallen. Sein Arm liegt immer noch um meine Taille. Seine Wangen sind dunkelrot.
»Mir geht’s gut, Tommo«, sag ich. »Geh schon.«
Er zögert kurz. Dann ist er auch weg.
A ls die beiden weg sind, lässt die Spannung im Zelt nach, die bis jetzt so drückend in der Luft gelegen hat.
Auriel lässt sich auf die Bettstelle zurücksinken. Ihr Blick trifft meinen. Sie hat, was sie gewollt hat. Was ich brauche. Es hat sie erschöpft, müde gemacht, diese letzte … Sache mit Lugh, was das auch gewesen sein mag.
Em stürzt zu ihr und kniet sich zu ihren Füßen hin. »Wie hast du das gemacht? Kannst du mir das auch zeigen?«
»Emmi, lass sie in Ruh«, sag ich.
»Schon gut.« Auriel lächelt sie an. »Mit acht Jahren hab ich mal allein im Wald gespielt. Da hab ich diese Musik gehört. So wunderschön. Ich bin ihr gefolgt, und sie hat mich zu einer kleinen Lichtung geführt. Die Sonne, das Licht da ist so strahlend hell gewesen. Da ist die Musik hergekommen. Ich bin aus dem Wald auf die Lichtung gegangen, und … ich bin auf eine Geistreise gegangen. Ich bin viele Tage lang ohnmächtig gewesen, meine Familie hat sich um meinen Körper gekümmert, hat über mich gewacht, aber mein Geist ist woanders gewesen. Mein Großvater Namid hat mich da wieder rausgeholt. Er ist mein Lehrer geworden. Er ist letzten Winter gestorben. Ich vermisse ihn sehr.«
»Bringst du mir das bei?«, fragt Emmi.
Auriel schüttelt den Kopf. »Du musst den Ruf hören und ihm folgen. Dann wird dein Lehrer kommen.«
»Ich werde ganz genau hinhören«, sagt Emmi.
Auriel guckt mich an. »Du bist erschöpft. Wir essen, dann musst du ein bisschen schlafen. Wir fangen morgen an, du und ich.« Sie gibt uns Näpfe mit einer dünnen Suppe. Emmi, Tracker und Nero kauern sich hin, um sich den Magen vollzuschlagen. Als ich meine Suppe nehmen will, berührt Auriel meine Hand. Leise sagt sie: »Der taube Junge. Pass gut auf, Saba. Er ist in dich verliebt.«
L
ugh und ich liegen auf dem Rücken am Ufer vom Silverlake. Wir sind acht Jahre alt. Pa und Ma liegen zwischen uns. Ma hat einen runden Bauch von dem Baby, das in ihr wächst. Es ist ein milder Sommerabend. Wir gucken alle hoch zu den Sternen.
»Erzähl’s uns, Pa«, sagt Lugh.
»Ja, Pa«, sag ich. »Erzähl’s uns noch mal.«
»Nicht heute Abend«, sagt er.
»Ach, komm schon, Willem«, sagt Ma. »Du weißt, wie gern sie das hören.«
Er dreht den Kopf, und
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