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Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Titel: Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moira Young
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runter. Die Leute in der Nähe gehen ihr zur Hand. Der einzige Mitfahrer – sieht aus wie ein Mann – rührt sich nicht.
    »Was tun die alle hier?«, frag ich.
    »Sie wollen nach Westen. Sie können nicht zurück nach New Eden, und sie können nicht hierbleiben. Sie sind unterwegs zum Großen Wasser. Sie haben die Geschichten gehört – das fruchtbare Land, die gute Luft –, genau wie dein Bruder. Sie wollen ein besseres Leben.«
    »Nicht bloß er. Lugh und ich, wir wollen dasselbe.«
    »Lugh träumt von einem sesshaften Leben«, sagt sie. »Er sehnt sich danach, sich irgendwo niederzulassen und das Land um sich rum zu bestellen. Es juckt ihn in den Händen, fruchtbaren Boden zu bestellen, Essen auf den Tisch zu bringen, das er selbst angebaut hat, Kinder großzuziehen. Das bist du nicht. Dich kann man nicht fesseln. Du musst frei sein, damit du hoch aufsteigen kannst. Du musst fliegen.«
    Sie guckt mich an. Das glaub ich wenigstens, sie trägt nämlich einen dunklen Augenschutz. Jeder Lichtblitz – die Sonne, die auf eine bestimmte Art auf Wasser oder Metall fällt – löst womöglich einen Wahrtraum bei ihr aus, deshalb muss sie sich schützen. Sie wartet. Als müsste ich darauf was sagen. Vielleicht sollte ich das. Aber mir fällt nicht ein, warum oder was. Ich bin langsam. Schwerfällig. Mein Kopf ist immer noch dicht von den Träumen heute Nacht.
    Auriel hat sich ihren Schal um den Kopf gewickelt. Ich muss immer wieder hingucken. Er ist dunkelrot. Wie Blut. Genau wie in meinem Traum.
    Ein Toter liegt ausgestreckt in der Grube. Der Kopf ist von einem dunkelroten Schal verhüllt.
    Ich wünschte, sie würde ihn abnehmen. Die Schatten der Toten bedrängen mich. Ich seh sie nicht. Aber ich spür sie, so dicht bei mir, dass ich kaum atmen kann.
    »Ich hab von einem alten Mann geträumt«, sag ich.
    »Ja«, sagt sie. »Namid.«
    »Er hat mir einen Bogen gegeben.«
    »Ja«, sagt sie.
    Wir gehen auf der Straße zwischen den Unterkünften durchs Lager. Die vom Regen aufgeweichte Erde ist zu knöcheltiefen Furchen getrocknet.
    Sie und ich, wir sind auf einem Rundgang, so nennt sie’s. Sie fühlt sich verantwortlich für die Leute hier. Verlorene Seelen, so nennt sie sie. Sie ist schon seit vor dem Morgengrauen auf den Beinen, spricht mit der Empfangsabordnung und der Gruppe, die für die Abtritte zuständig ist, und der Krankenbetreuergruppe und wer weiß mit wem noch. Sie überlegt sogar, die Leute selbst nach Westen zu führen. Sie wartet auf ein Zeichen vom Licht, von ihren elementaren Führern.
    »Sie brauchen jemanden, der sie führt«, sagt sie. »Die Leute da sind nicht wie du. Sie haben ihr Leben im Schmutz verbracht, haben zu Füßen der Starken gekauert. Sie glauben, zu mehr taugen sie nicht.«
    Es ist ein langsamer Rundgang. Auriel ist ein großes Wunder. Sie stürzen zu ihr, küssen ihr die Hände, berühren ihre Kleider. Sie spricht mit allen, fragt nach den Kindern, der Ehefrau, der alten Frau, die mit ihnen reist. Mich gucken sie nur verstohlen an. Besonders wo Nero auf meiner Schulter hockt und Tracker neben mir läuft. Aber wenigstens halten die Leute mir heute nicht ihre Talismänner entgegen.
    Ich guck mich um. Lugh, Tommo und Em kleben uns an den Fersen, etwa zwanzig Schritte hinter uns. Auriel hat sie gebeten, uns allein zu lassen, aber Lugh ist keiner, der sich was sagen lässt. Er hat sie gewarnt, er würde sie beobachten, und das meint er ernst.
    Nicht dass es da was zu beobachten gäb. Heute Morgen hab ich sie als Erstes gebeten, endlich anzufangen. Mir einen Trank zu geben oder mich zur Ader zu lassen oder die Sterne zu deuten oder was auch immer sie tun muss, um mich wieder in Ordnung zu bringen, damit wir wieder auf die Straße nach Westen kommen. Sie hat gesagt, dass das so nicht läuft. Dass ich wissen würde, wenn ich bereit wär. Mehr hat sie dazu nicht sagen wollen.
    Vor dem nächsten Zelt auf der rechten Seite sitzen zwei geschminkte Frauen und lassen alle Welt an sich vorbeiziehen. Die jüngere – drall wie eine Taube – hat die Füße hochgelegt und klimpert eine Melodie auf einem Banjax. Ihre Freundin sitzt auf einem Schemel, den Rock bis übers Knie hochgezogen, und raucht eine Pfeife. Sie ist eine gut aussehende Frau, über und über behängt mit klimpernden Armreifen und Halsketten. An jedem Finger trägt sie einen Ring. In den Ohren hat sie auch Dutzende von Ringen.
    In ihrem zerlumpten Putz sind die beiden ein seltsamer Anblick unter diesen erschöpften staubigen

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