Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
kommt ein Ende in Sicht. Und dann, süß und gnädig, der Anblick, der Geruch von lebenden Bäumen – Wacholder, Kiefern und Tannen – und das Geräusch von sauberem, fließendem Wasser. Was für eine Erleichterung. Wie eine kühle Hand auf einer fieberheißen Stirn. Slim bremst den Wagen ab. Fährt vom Pfad runter auf eine kleine Lichtung.
»Was tust du da?«, frag ich. »Fahr weiter.«
»Wir müssen eine Pause machen«, sagt Slim. »Hier sind wir sicher. Moses muss sich ausruhen. Euer Pferd auch.«
Ich drück ihm den Bolzenschießer an die Schläfe. »Ich hab gesagt, fahr weiter.«
Slim hebt die Hände. »Hey, hey! Beruhig dich, Schwester. Ich hab gesagt, ich bring euch zeitig zum Lost Cause, und das werd ich auch. Ich möchte mein Auge nämlich gern behalten.«
»Der Mann hat recht«, sagt Lugh. »Das weißt du auch. Wir müssen ausruhen.«
Ich bin ganz benommen vor Müdigkeit. »Wir müssen weiter«, sag ich.
»Sei nicht bescheuert«, sagt er. »Wann hast du das letzte Mal geschlafen?«
Ich überleg. Das muss … nein, ich weiß nicht mehr, wann das gewesen ist. Müdigkeit belagert mich, reibt sich an mir, warm und freundlich. Ich darf ihr nicht nachgeben.
»Du weißt es nicht mal«, sagt Lugh.
Er steigt ab und pflückt Emmi von Hermes’ Rücken. Maev und Tommo sind aus dem Wagen geklettert. Ich guck in ihre abgespannten Gesichter.
»Okay, drei Stunden«, sag ich.
»Vier«, sagt Lugh.
»Mindestens«, sagt Slim. »Hier muss man auf Zack sein. Man muss wachsam sein. Auf alles vorbereitet. Und es ist einfach nur dumm, wenn man die Tiere nicht richtig ausruhen lässt.«
»Na gut, vier«, sag ich. »Aber keine Minute länger.«
Ich red mit mir selbst. Alle laufen hin und her und helfen Slim, das Lager aufzuschlagen und Feuer zu machen. Ich kletter vom Wagen, bin überall steif und wund. Während ich den Rücken streck und mir den schmerzenden Hintern reib, denk ich, dass ich jederzeit lieber auf einem Pferd sitzen würde statt auf einem Wagen. Ich hab jeden Hubbel auf der verdammten Straße gespürt. Ich steh abseits, erschöpft, aber zappelig. Als ob ich nicht wüsste, was ich mit mir anfangen soll, wie ich sein soll, wenn ich nicht mehr in Bewegung bin.
Maev kommt zu mir rüber. Sie wirft einen Blick zu Slim, der mit Emmi plappert und quasselt. »Er redet viel«, sagt sie, »aber er sagt nicht viel. Da kommt man ins Grübeln.«
»Ich weiß«, sag ich. »Keine Sorge, ich behalt ihn im Auge.«
Sie verschränkt die Arme vor der Brust. Bohrt den Stiefel in den Boden.
»Was ist?«, frag ich.
»Ich hab das vorhin vermasselt«, sagt sie. »Von wegen, Jack ist ein Besserwisser. Den Schuh zieh ich mir besser an. Jeder Idiot hat sehen können, dass das bescheuerte Kamel sich für keinen außer Slim bewegt. Was ist bloß mit mir los?«
»Tja, du hast dich selbst bestraft«, sag ich. »Du bist den ganzen Tag im Wagen gefahren.«
»Das hab ich auch verdient«, sagt sie, »mindestens. Ich bin nicht mehr auf Zack.«
»Ach komm, Maev«, sag ich. »Was ist mit heute Morgen? Da am Gap? Wo du alle zu mir rübergebracht hast, gegen die Kopfjäger gekämpft hast … das war verdammt gut.«
Ihr Gesicht leuchtet auf. »Das hat irgendwie Spaß gemacht.« Sie wirft einen Blick zu Lugh. Er hockt da und schichtet das Holz für unser Lagerfeuer auf. Er muss gespürt haben, dass wir ihn beobachten, er guckt nämlich hoch. Nur einen Augenblick, dann arbeitet er weiter. »Ich hab angegeben«, sagt Maev. »Peinlich. Wie ein kleines Kind, das von ihm bemerkt werden will.«
»Ach, der bemerkt dich«, sag ich, »keine Angst. Du hast ihnen das Leben gerettet, Maev. Sie sind in Gefahr gewesen – ihr alle –, und das nur wegen mir. Wenn hier jemand nicht mehr auf Zack ist, dann ich. Du hast es gut gemacht.«
»Tja, wenigstens diese drei Leben hab ich gerettet«, sagt sie. »Aber das macht nicht wieder gut, was in Darktrees passiert ist. Das macht die Hawks und die Weststraßenräuber nicht wieder lebendig. Das ist nie wiedergutzumachen. Wenn ich bloß nicht so überheblich gewesen wär. Wenn ich bloß auf Ash und Creed gehört hätte. Immer wieder haben sie gesagt, wir sollten da weggehen, aber ich wollte ja nicht. Vierzig Leben, Saba. Meine Freunde. Tot wegen mir. Es ist schwer, damit zu leben.«
»Es hilft keinem, wenn du mitzählst«, sag ich.
»O doch, das tut es. Ich muss das tun. Jedes Einzelne nagt an mir. Jedes Mal, wenn ich die Augen zumach, seh ich ihre Gesichter. Sie laufen durch meine Träume.«
»Ich
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