Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Fingern sauber. Emmi fängt an, ihren sauber zu lecken und schnüffelt dabei leise.
»Emmi, schäm dich!«, sagt Lugh. »Du bist ein Mädchen, kein Tier, also iss auch nicht wie ein Tier. Herrgott.«
Slim wollte seinen auch gerade auslecken. Als Lugh Em anblafft, erstarrt er. Dann zwinkert er ihr zu, und sie grinsen sich schuldbewusst an. Wir stellen alle unsere Näpfe auf den Boden, und Tracker geht rum und schleckt sie mit seiner langen rosa Zunge sauber.
Nero hat sich vorhin eine Maus gefangen: ein Runterstoßen, ein Quieken, ein Bissen. Er schläft schon tief und fest im Baum über uns, den Kopf unter den Flügel gesteckt.
»Danke für das Essen«, sag ich. »Das ist sehr anständig von dir, unter den Umständen.«
»Sogar Straßenräuber bekommen Hunger«, sagt Slim. Er streckt die Beine aus, setzt sich bequemer hin auf seinem niedrigen Faltstuhl und putzt sich mit einem Zweig die Zähne.
»Wirst du oft überfallen, Slim?«, fragt Emmi.
»Das ist das erste Mal. Und es ist auch gar nicht so schlimm. Ich bin froh über die Gesellschaft, Moses ist nicht sehr gesprächig. Nein, trotz unseres schwierigen Anfangs ist der dumme alte Mann hier absolut zufrieden.«
»Bist du das?«, frag ich. »Ein dummer alter Mann?«
Mit seinem einen wässrigen Auge guckt er mich an. Milde. »Nicht so dumm, dass er nicht wüsste, dass der junge Bursche hier den Tonton nicht unter die Augen kommen darf.« Er nickt Tommo zu. »Ein Junge, der nichts hören kann, ist nicht sicher. Falls sie ihn in die Finger kriegen, töten sie ihn.« Tommo ist rot geworden. Hat das Kinn vorgeschoben.
»Keiner bekommt Tommo in die Finger«, sagt Emmi. »Ich würde sie töten, wenn sie ihn auch nur anfassen würden!« Sie sammelt die Näpfe ein.
»So ist’s recht«, sagt er. »Du hast da eine grimmige Fürstreiterin, mein Sohn.«
»Ich bin nicht dein Sohn«, sagt Tommo. »Und ich kann selber auf mich aufpassen.«
»Bestimmt. Also … ich kann sehen, dass ihr drei verwandt seid.« Slim zeigt auf Emmi, Lugh und mich. »Und der Rotschopf hier, tja … sogar ein Blinder sieht, wie es zwischen euch zweien steht. Ihr könnt die Augen nicht voneinander lassen.« Er guckt von Lugh zu Maev. »Ach, jetzt sitzt nicht da und werdet rot«, sagt er, »macht voran. Das Leben ist zu kurz. Geh mit ihr in die Büsche, mein Freund, und mach sie zu deiner Frau. Sonst tut’s jemand anderes. Verdammt, vielleicht mach ich selbst mal einen Versuch. Da würd dein Höschen glühen. Haha! Wie wär’s, Rotschopf? Du und ich?«
»Halt’s Maul!« Lugh guckt Slim bitterböse an. Seine Wangen sind knallrot. Slim lacht bloß gackernd und schlägt sich auf die Knie. »Oh, da hab ich wohl ins Schwarze getroffen! Nee, nee, du bist nicht mein Typ, Rotschopf. Ich mag sie drall, mit mehr Fleisch auf den Rippen.« Dann guckt Slim Tommo an. »Was dich angeht … ich muss dir sagen, du interessierst mich wirklich sehr. Du bist nicht verwandt mit denen hier, du siehst nicht aus wie sie. Trotzdem bist du ein verdammt gut aussehender Bursche. Wirst mal ein echter Herzensbrecher. Du hast mich von Anfang an an jemand erinnert. Wer hat dich in die Welt gesetzt?«
Emmi hockt ein Stück abseits und schrubbt die Näpfe mit Kiefernnadeln sauber. Sie ruft: »Sein Pa ist tot. Seine Ma auch. Das ist lange her, aber er redet nicht gern drüber.«
Slim beugt sich vor und betrachtet Tommo im Feuerschein. »Ich vergess nie ein Gesicht. Kann ich mir in meinem Beruf nicht leisten. Muss immer gleich wissen, mit wem ich ehrlich handel und mit wem hintenrum. Ha! Wenn ich jemand einmal gesehen hab, vergess ich ihn nicht. Die Gesichtsform, das Kinn, Nase, Augen. Ja, ich bin sicher, ich hab da jemand gesehen. Keiner von meinen Kunden, aber irgendwo auf meinen Reisen –«
Tommo springt auf. »Mein Pa ist tot!« Er wirft sich unter einem Baum auf den Boden. Rollt sich mit dem Rücken zu uns zusammen und schiebt sich die Jacke untern Kopf. Emmi geht zu ihm. Sie legt sich so hin, dass sie ihn ansieht. Dann ist leises Gemurmel zu hören.
Slim schüttelt den Kopf. »Ich hab den Jungen nicht verstören wollen. Trotzdem – nein, jetzt ist es weg. Egal, es wird mir schon wieder einfallen.« Er hievt sich vom Stuhl hoch. »Tja, ich glaub, ich mach ein Nickerchen.« Er watschelt zum Wagen und quetscht sich hinten rein. Dann sitzen nur noch Lugh und Maev und ich da. Das orange Licht vom Vollmond fällt auf die Lichtung.
Maev sitzt in einer kupferfarbenen Mondlichtpfütze und guckt ins Feuer. Sie glüht.
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