Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Sie leuchtet. Ihre Haut, ihre Augen, ihre Haare. Sie sieht aus, als ob sie auf einem Mondstrahl runter auf die Erde gerutscht wär. Sie sieht nicht ganz wirklich aus. Ich guck zu Lugh. Er beobachtet sie. Und … o je …
Sein Gesicht.
Bei dem Anblick stockt mir der Atem.
So eine glühende Sehnsucht.
So ein ohnmächtiges Verlangen.
Genauso gut könnt er sich ihr zu Füßen legen und ihr die Kehle hinhalten.
Maev dreht den Kopf. Ihre Blicke treffen sich. Sie sehen sich in die Augen. Die Luft wird still.
Ich weiß, es ist nicht richtig, dass ich sie beobachte. Aber ich tu’s. So hab ich Lugh noch nie gesehen. Das Herz offen. Ohne etwas zu verstecken.
Er guckt als Erster weg. Er erwischt mich dabei, dass ich ihn beobachte, und sofort ist seine Miene wieder verschlossen. In mir drin spür ich einen heftigen Schmerz. In den Eingeweiden. In der Brust. Im Kopf. Es fühlt sich an wie ein Messer.
Wir werden auseinandergeschnitten, Lugh und ich.
Stück.
Für Stück.
Und das macht mich nachdenklich.
Da frag ich mich.
Fühlt er das auch, wenn er mich mit Jack sieht? Guck ich Jack so an wie Lugh Maev?
Glühend.
Halt ich ihm auch die Kehle hin?
Ohnmächtig.
I
ch renn. Durch einen langen dunklen Gang. Fackeln beleuchten meinen Weg. Ihre Schatten zucken und zischen, und jemand flüstert meinen Namen.
Saba.
Saba.
Die Stimme streicht über meine Haut. Auf einem Schwall kalter Luft an mir vorbei. Die Stimme ist so dunkel und tief. Der Herzstein in meiner Hand ist warm. Das bedeutet, Jack ist nicht weit weg.
Dann steig ich die Treppe rauf. Über die Steinstufen.
Saba. Saba, Saba.
Wieder die Stimme, sie streicht mir übers Rückgrat. Ich kenn sie. Kenn sie so gut. Sie setzt sich in mir fest. Tief in mir drin.
Ich umklammer den Herzstein. »Warte auf mich, Jack.« Die Steine flüstern: Saba, und ich renn die Treppe hoch. Dann bin ich oben. An der alten, zerkratzten Holztür.
Und der Herzstein ist jetzt glühend heiß in meiner Hand.
Ich dreh den Knauf. Schieb die Tür auf. Trete ins Zimmer. Es ist fast leer. Fast dunkel.
»Jack«, sag ich.
Binsenlichter. Eine Kerze. Ein Stuhl mit hoher Rückenlehne. Mit Blick zum Feuer im Kamin. Er steht auf. Er dreht sich zu mir um.
Dreht sich zu –
Dreht sich zu –
Dann ist es weg. Alles ist weg.
Da ist nur noch Dunkelheit. Und ich falle.
Runter, runter, runter in die tiefe, ungeheure Dunkelheit.
Mit einem Keuchen wach ich auf.
Es ist eine sternenhelle Nacht. Eine milde Mondnacht. Eine Brise weht angenehm zwischen den Bäumen. Im sanften, milden Licht des Spätsommermonds seh ich Lugh und Maev am Feuer. Sie knien. Sehen sich an. Sie berührt seine Haare. Sein Gesicht. Seine Lippen. Sanft, zärtlich, vorsichtig.
Sie bewegt sich auf ihn zu. Gleich küsst sie ihn.
Er dreht den Kopf weg.
Sie wartet eine lange Weile. Irgendwann steht sie auf. Sie geht weg und legt sich hin. Auf die Erde neben Tommo und Em.
Lugh hat Wache.
Ich tu so, als würde ich schlafen. Aber ich denk über das nach, was ich gerade gesehen hab. Es zieht ihn zu ihr hin.
Er hat sie gern. Ich hab’s in seinem Gesicht gesehen. Ich weiß es. Aber warum hat er sich dann weggedreht?
I ch schlaf nicht fest, treib durch Halb-Gedanken und Fast-Träume. Ich wünsch mir Tiefschlaf und Vergessen, aber mein Kopf ist zu beschäftigt.
Ein Rascheln und ein Flüstern schlängeln sich in meinen Kopf. Unter schweren Lidern seh ich halb, wie Slim Lugh bei der Wache ablöst. Seinen schweren Körper auf den Faltstuhl sinken lässt. Dann versink ich in einem fiebrigen Durcheinander. Mit Schlangen und Schädeln und gelben Medizinwagen.
Dann ein Traum, der lebensechter wirkt als der Rest. In dem Slim die hintere Tür vom Kompendalorium aufmacht und einen unförmigen Sack rausholt. Tracker folgt ihm neugierig auf den Fersen, und er bedeutet ihm, still zu sein. Slim guckt sich im schlafenden Lager um und schlüpft dann in den Wald. Tracker läuft ihm hinterher. Dann wieder Seilbrücken und Gewitter und: Triff mich bei Vollmond am Lost Cause.
Das nächste Mal werd ich wach, weil Slim mich an der Schulter berührt, um mich zu wecken. Im Nu sind alle auf den Beinen. Während wir schweigend das Lager abbrechen, wird mein Kopf langsam wieder klar. Was für komische Träume man nachts hat. Bloß dass da frischer Schlamm an Slims Stiefeln klebt. Und ich könnt schwören, dass der noch nicht da gewesen ist, als wir schlafen gegangen sind.
A ls wir wieder auf der Straße sind, ist es noch dunkel. Wir ziehen nach
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