Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
weiß«, sag ich.
»Ruby«, sagt sie. »Taz. Ash. Creed. Wenn ich nur an ihre Namen denk, fühlt sich das an wie Messer in meinem Herz. Also tu ich genau das. Ich denk an ihre Namen. Immer und immer wieder. Ich muss den Schmerz lebendig halten. Bis ich wiedergutmachen kann, was ich getan hab. Vielleicht werd ich dann wieder schlafen können.«
»Vielleicht.«
Wir schweigen, dann frag ich: »Fühlst du dich manchmal alt, Maev?«
»Ich bin schon alt geboren.«
Wir gucken uns lange in die Augen. Dann nickt sie und geht rüber zum Feuer. Unterwegs kommt sie an Tommo vorbei.
Er stellt sich vor mich. »Gib mir deine Hand.« Ich zögere. Dann halt ich ihm die rechte Hand hin. Die, die Lugh gequetscht hat, weil er so wütend und so verletzt gewesen ist. Sie ist empfindlich. Grün und blau.
»Slim hat mir das gegeben«, sagt Tommo, während er den Deckel von einem Töpfchen Elfenblumensalbe abmacht und den Finger reintaucht. Er nimmt meine Hand und verreibt die Salbe. Er benutzt dazu nur einen Finger. Er ist so sanft, dass ich einen Kloß im Hals bekomme.
Er sieht mich an. »Er hätte dir nicht weh tun dürfen«, sagt er.
»Ich hab ihm auch weh getan«, sag ich.
Er lächelt irgendwie komisch. »So geht das also?«, fragt er. »Weh tun gegen weh tun?« Er senkt den Blick. Konzentriert sich auf das Einreiben. Die Augen sind das Erste gewesen, was mir an Tommo aufgefallen ist. So ein dunkles Braun, dass es fast schwarz ist. Mit langen dunklen Wimpern. Augen wie ein Reh.
Als ich ihm bei Ike zum ersten Mal begegnet bin, ist er noch ein kleiner Junge gewesen. Ein blasser, schlaksiger Junge, nichts als Ellbogen, Knie und Füße. Das ist er jetzt nicht mehr. Irgendwie ist sein Körper in den letzten Monaten zu dem von einem Mann geworden. Er ist braun gebrannt. Schlank. Hat dichte dunkle Haare, die er aus dem Gesicht gebunden hat. Starke Wangenknochen. Er sieht gut aus, kein Zweifel.
Der taube Junge. Pass gut auf, Saba. Er ist in dich verliebt.
Er hält inne. Er weiß, dass ich ihn anguck, er kann es spüren. Röte kriecht ihm die Wangen hoch. Ohne mich anzugucken, hebt er meine Hand an die Lippen. Berührt meine Quetschung. Ich spür seinen Atem auf meiner Haut.
»Ich würd dir nie weh tun«, sagt er.
Jetzt guckt er mich an. Hält meinen Blick fest. Aufmerksam. Ernst.
Nein. Nein, nein, nein, nein, nein.
»Tommo«, sag ich.
Er atmet tief durch.
Da ruft Slim: »Wie viele Eier? Eins oder zwei?«
E iner von Slims Patienten hat ihm eine geräucherte Keule vom Borstenschwein gegeben dafür, dass er ihm einen eingewachsenen Zehennagel behandelt hat. Slim schneidet dicke Scheiben von der Keule ab und brät sie mit Taubeneiern. Während er mit seiner großen Bratpfanne hantiert, warten wir mit den Essnäpfen in den Händen, und das Wasser läuft uns im Mund zusammen. Tracker rückt immer näher, bis er auf Slims Fuß sitzt. Er lässt Slim nicht aus den Augen, während der das Fleisch umdreht und Fett über die Eier löffelt. Seine Nase zuckt. Der Sabber hängt ihm in langen Streifen vom Maul.
»Hungrig, was, mein Freund?«, sagt Slim. »Keine Angst, ist genug für alle da, Mensch wie Tier. Hab noch nie von einem zahmen Wolfshund gehört. Und von einem mit blauen Augen auch nicht. Habt ihr ihn schon als Welpen bekommen?«
»Nein«, sagt Emmi. »Er hat unserer Freundin Mercy gehört, aber wir glauben, dass sie bestimmt tot ist.«
»Tja, wir müssen alle sterben«, sagt er. »Man muss eben hoffen, dass man gut stirbt. Manche Leute wollen mit Glanz und Gloria sterben, wie die Sonne selbst. Andere beten drum, dass sie im Schlaf sterben. In meinem Alter denkt man über so was nach. Weißt du, wann ich mir mal gewünscht hab zu sterben?«
»Wann?«, fragt Emmi.
»In meinem einundzwanzigsten Jahr. An einem milden Sommerabend. An einem sanft plätschernden Flüsschen. Ich hab dagelegen und ein wunderschönes Mädchen im Arm gehalten. Und sie hat mir gesagt, dass sie mich liebt. Ein Augenblick reinen Glücks.«
»Das klingt schön«, sagt Em.
»Der beste Augenblick in meinem Leben, und ich hab’s nicht mal gewusst. Manchmal ist das so. Okay, Essen ist fertig. Einer nach dem anderen, und kein Vordrängeln.«
Füßegetrappel, gemurmelte Dankeschöns, dann nur noch das Kratzen von Löffeln auf Blech, während wir Slims leckeres Essen in uns reinschaufeln. Ich überleg, wann ich das letzte Mal was gegessen hab. Ich weiß es nicht mehr. Mein Bauch ächzt erleichtert. Als wir fertig sind, wischen wir unsere Näpfe mit den
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