Dustlands - Die Entführung
Grunzend wird Ike wach.
Was ist?, fragt er.
Komm, sagt Jack. Saba will reden.
Ike rappelt sich hoch, und Nero flattert auf meine Schulter. Reibt den Kopf an meiner Wange. Er weiß immer, wann ich jemand an meiner Seite brauche. Wie heut Nacht.
Ich geh vor, geh ein Stückchen vom Lager weg. Kletter bergauf durch die Bäume, bis ich zu einer Felskuppe komm. Dann dreh ich mich zu ihnen um. Der Nebel ist jetzt ganz weg, und es ist eine warme Nacht mit einem hohen Himmel. Ein Mittsommernachtshimmel. Ich kann Jack und Ike gut sehen.
Okay, sag ich. Erzählt mir, was ihr über Freedom Fields wisst. Wirklich alles.
Sie gucken sich an.
Ich bin ehrlich zu euch gewesen, sag ich. Ich hab euch alles erzählt. Alles, was Helen mir über das Mittsommeropfer erzählt hat und warum sie Lugh geholt haben. Pinch ist zwar tot, aber damit ist Lugh nicht in Sicherheit, nicht bis wir ihn da rausholen. Jetzt müsst ihr zwei auch ehrlich zu mir sein. Ihr müsst mir alles erzählen, was ihr wisst. Damit ich wenigstens eine leise Ahnung davon hab, womit wir es vielleicht zu tun kriegen.
Tja, du weißt mehr als wir, sagt Ike. Wir haben nur hin und wieder was von Landstreichern gehört. Du weißt schon, ab und zu trifft man jemand und kommt ins Gespräch –
Vergiss es, Ike, sagt Jack.
Was?
Ich hab gesagt, vergiss es.
Aber wir haben doch abgemacht, dass wir –
Ike, sagt er. Saba hat recht. Sie muss wissen, womit wir es zu tun kriegen.
Ich hab’s gewusst!, sag ich. Ich hab gewusst, ihr wisst mehr, als ihr sagt. Verdammt, Jack, warum hast du mir nicht längst alles erzählt? Warum hast du mir nicht gleich alles erzählt, als du rausgefunden hast, wo ich hinwill?
Ich weiß, ich hätte das tun sollen, sagt er. Aber ich hab nicht gewollt, dass du’s erfährst, so lange es nicht sein muss.
Ich bin kein Kind mehr, sag ich. Du musst mich nicht schützen.
Ich weiß, sagt er, ich weiß. Tut mir leid.
Ich glaub, ich … geh dann mal zurück ins Lager, sagt Ike.
Feigling, sagt Jack.
Geh ruhig, Ike, sag ich. Jack erzählt mir alles, was ich wissen muss.
Na schön, sagt er. Tja … wenn ich Geschrei hör, schick ich Emmi. Und schon ist er verschwunden, ohne ein Geräusch zu machen. Ich hör nicht mal ein Rascheln oder einen Schritt. Für einen so großen Mann bewegt Ike sich richtig leise. Nero fliegt Ike hinterher, er kann wohl nicht mehr ruhig sitzen.
Dann sind Jack und ich allein.
Okay, Jack, sag ich. Leg los.
V or vier Jahren, sagt er, bin ich zur falschen Zeit in der falschen Kneipe gewesen. Die Tonton haben mich einkassiert. Die sind immer auf der Suche nach kräftigen Arbeitern. Nach Sklaven. So bin ich in Freedom Fields gelandet.
Du bist da gewesen, sag ich.
Ja, sagt er. Komm, setzen wir uns hin.
Wir setzen uns einander gegenüber auf zwei Felsen. Ein bisschen zu nah für meinen Geschmack. Seine Füße berühren meine fast. Der Herzstein liegt heiß auf meiner Haut.
Da hab ich Ike kennengelernt, sagt er. Wir sind ungefähr zur selben Zeit versklavt worden. Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass wir nicht begeistert gewesen sind vom Leben als Sklaven, vom Arbeiten in einer zusammengeketteten Kolonne auf den Feldern da. Aber alle anderen … tja, denen hat das alles anscheinend nichts ausgemacht. Und wir haben schnell rausgefunden, warum nicht. Zweimal am Tag ist ein großer Wasserwagen rumgekommen, einmal morgens und einmal nachmittags. Aus dem haben sie die Wasserschläuche aufgefüllt. In dem Wasser ist Chaal.
Helen hat gesagt, dass es immer ums Chaal geht, sag ich.
Es macht deinen Verstand langsam, sagt er. Es macht dich dumm. Prima Sache, wenn man die Leute unter Kontrolle haben will. Aber wenn man zu viel davon nimmt, wird alles ganz schnell. Dein Herz rast, du wirst ganz aufgeregt und streitsüchtig, du brauchst nicht zu mehr essen oder zu schlafen.
Ich muss an Mad Dog denken, da in Hopetown, an das, was er mit Helen gemacht hat. An die Meute im Kolosseum, daran, wie die Leute beim Spießrutenlauf nach Blut geheult haben.
Ich hab gesehen, was es anrichtet, sag ich.
Ike und ich haben wie alle anderen unsere Wasserschläuche am Wasserwagen aufgefüllt, aber wir haben sie nicht angerührt. Wir haben heimlich Wasser aus den Bewässerungskanälen auf den Feldern getrunken.
Wie lang seid ihr da gewesen?, frag ich.
Paar Monate. Bloß so lange, bis wir gehabt haben, was man braucht, um die Schlösser an unseren Fußketten zu knacken. Dann haben wir auf eine stürmische Nacht gewartet. Die Hundestreifen gehen
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