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Dylan & Gray

Dylan & Gray

Titel: Dylan & Gray Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Kacvinsky
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Schneidersitz auf einen Picknicktisch und schauen auf die Wüstenebene hinaus.
    Gray nimmt seine Kappe vom Kopf und fährt sich durch die feuchten Locken, deren dunkles Braun nun fast schwarz aussieht. Seine Haare sind widerspenstig und stehen sofort in alle Richtungen ab, als wollten sie diesen seltenen Moment der Freiheit feiern. Die Farbe seiner Augen kommt dadurch viel besser zur Geltung.
    »Okay«, sage ich. »Du hast mir bei meinen Hausaufgaben geholfen, also sollte ich jetzt das Gleiche für dich tun.«
    Er wischt sich mit dem Handrücken über den Mund, kaut schweigend auf seinem Sandwich und nimmt einen langen Schluck aus der Dose. Anscheinend muss er erst abwägen, ob er sich allzu weit aus der Deckung wagt, wenn er sich auf ein Gespräch einlässt – ganz gleich, wie harmlos das Thema ist. Schließlich antwortet er, dass er in einem Kurs über Lyrik steckt, obwohl das nicht gerade seine Stärke ist.
    »Nicht deine Stärke? Wie kommst du denn darauf?«
    »Wir reden hier von Poesie «, sagt er mit einer Stimme, als würde er eine Magen-Darm-Grippe beschreiben.
    »Gedichte sind die einzige Literaturform, in der man sämtliche Regeln brechen kann«, widerspreche ich. »Das ist total befreiend.«
    Er kaut weiter auf seinem Sandwich herum und denkt darüber nach. Ein Windstoß bläst ihm die Haare aus der Stirn. »Ja schon, aber man braucht Metaphern und Personifikationen und den ganzen Mist.«
    »Mist?«, wiederhole ich. »Du brauchst nichts zu tun, als Worte aneinanderzuheften. Zufällige Worte in beliebiger Reihenfolge. Sie brauchen nicht einmal eine Bedeutung zu haben. Nur für dich müssen sie etwas bedeuten.«
    Grinsend erwidert er, auf sein Gedicht würde das leider nicht zutreffen, weil die Hausaufgabe »dingliche Lyrik« lautet. Ich beiße in eine Lakritzstange und sage, dass er anscheinend das Gleiche machen soll wie ich bei meinem Fotoprojekt. Nur eben mit Worten. Ich zeige auf die Hügel um uns herum.
    »Du könntest einen Saguaro beschreiben«, schlage ich vor.
    Er schluckt den letzten Rest von seinem Sandwich herunter und grinst. »Ja klar, ein Gedicht über einen Kaktus. Echt originell. Vielleicht hängt meine Mutter es am Kühlschrank auf, gleich neben dem aus meiner Grundschulzeit.«
    Ich öffne den Reißverschluss meiner Tasche und hole meinen Brainstormer heraus. Gray sieht die gekritzelten Worte auf dem Umschlag und rückt näher, um sie laut zu lesen.
    »Normal: gewöhnlich, durchschnittlich und angepasst. Exzentrisch: seltsam, kurios und einzigartig.«
    Gray schaut mich an und ich lächele ihm entgegen. Er lehnt sich ein Stück zurück und mustert mich, als würde er sich fragen, von welchem Planeten ich komme. Diese Reaktion bin ich gewohnt, da der Großteil meines Gehirns darauf programmiert zu sein scheint, Gedanken per Zufallsgenerator auszuspucken.
    »Diese Definitionen hast du dir ausgedacht, oder?«, fragt er. Ich schüttele den Kopf und antworte, dass ich sie in einem Lexikon gefunden habe. Welche Definition auf mich zutrifft, braucht er gar nicht erst zu fragen. Genauso klar ist, zu welcher Gruppe er selbst augenblicklich gehört, deshalb guckt er ein bisschen beleidigt.
    »Weißt du was? Normal zu sein ist keine Katastrophe«, sagt er.
    »Stimmt«, sage ich, »sondern nur ein Zeichen dafür, dass man keine Courage hat.« Seine Augen werden schmal und ich zeige auf den Heftumschlag. »Du musst zugeben, eines dieser Worte klingt ein bisschen aufregender als das andere. Welche Richtung soll dein Leben denn lieber einschlagen?«
    Er schaut wieder auf die Definitionen. »Okay, da kann man vielleicht drüber nachdenken«, sagt er. Dann hebt er langsam den Blick. Mir ist schon aufgefallen, dass Gray heute zum ersten Mal angefangen hat, mich anzuschauen. Richtig anzuschauen. Manchmal kann er die Augen gar nicht wieder abwenden.
    Ich nehme meinen Füller, blättere zu einer leeren Seite und beginne zu schreiben. Ein paar Haarsträhnen wehen mir ins Gesicht und ich wische sie beiseite. Ich halte Gray das Heft entgegen, sodass er versuchen kann, meine winzige, krakelige Schrift zu entziffern.
    »Sorry, meine Gedanken flitzen immer so schnell vorbei, dass meine Hand nicht mitkommt«, lasse ich ihn wissen. Er liest die Zeile, die ich geschrieben habe, laut vor.
    »Ode an die Grünhäutigen.« Gray lässt das Heft sinken und ich ermutige ihn mit einem Nicken, weiterzumachen.
    »Soll ich damit was anfangen können?«, fragt er.
    »Das ist der Titel deines Gedichts. Wir werden uns abwechseln, es

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