Dylan & Gray
trennst.
Er biegt auf den Parkplatz ein und stellt seinen Wagen neben Gürkchen.
»Du bist echt eine gute Zuhörerin«, sagt er.
Ich reiche ihm mein Notizbuch.
Noch eine letzte Frage: Gibt es etwas, das dir an deinem Leben in Phoenix gefällt?
Er sieht mich eingehend an und ich habe den Eindruck, eine Sache gefällt ihm tatsächlich. Oder eine Person. Er beginnt plötzlich zu lächeln.
»Genug Fragen für heute«, sagt er.
E rstes Verstehen
Gray
Am nächsten Tag entdecke ich Dylan nirgends auf dem Campus und versuche mir einzureden, dass ich erleichtert bin, zur Abwechslung nicht in eine ihrer spontanen Verrücktheiten hineingezogen zu werden. Ich finde sie immer noch anstrengend und nervtötend. Zumindest ein bisschen.
Aber als ich nach Hause fahre, erscheinen mir mein Kabelfernsehen, meine sicheren vier Wände und das Alleinsein weniger verlockend als sonst. Wenn man sich erst einmal an ein schnelleres Tempo gewöhnt hat, ist es schwer, wieder einen Gang zurückzuschalten.
Am nächsten Tag fehlt sie ebenfalls und ich beginne unruhig zu werden. Als sie dann zum dritten Mal nicht auftaucht, sackt meine Stimmung auf einen Tiefpunkt irgendwo in der Nähe meiner Schuhsohlen. Kein Wunder, dass ich nur noch schleppend über den Campus latsche.
Dabei kenne ich dieses Mädchen kaum. Aber in der kurzen Zeit hat sich ein Teil von mir geöffnet, den ich fest verbarrikadiert hatte. Wer hätte gedacht, dass man ausgerechnet auf dem Betonplatz des Mesa Community College über einen verborgenen Schatz stolpern kann? Plötzlich scheinen meine Augen die Welt wieder wahrzunehmen, anstatt alles nur zurückzuspiegeln – was vielleicht daran liegt, dass sie nach einer bestimmten Person Ausschau halten. Mein Körper erwacht prickelnd aus seiner Betäubung. Eine ganze Weile waren das Leben und ich nur entfernte Bekannte, die sich kaum die Mühe machen, Kontakt zu halten … Doch nun sind wir uns überraschend wieder begegnet, schütteln uns vorsichtig die Hände und versuchen, uns erneut kennenzulernen.
In den Unterrichtspausen hänge ich missmutig herum, halte nach Dylan Ausschau und frage mich, ob ich sie überhaupt noch einmal sehen werde. Vielleicht ist ihr Fotokurs zu Ende? Manche Workshops in den Sommerferien dauern nur ein oder zwei Wochen. Ich sacke gegen die Wand des Physikgebäudes und verfalle in Panik. Ich habe keine Telefonnummer von ihr. Ich kenne nicht einmal ihren Nachnamen.
Ich bin so ein Idiot. Warum habe ich sie nicht nach ihrer Nummer gefragt?
***
Am nächsten Tag ist sie ebenfalls nicht auf dem Campus. Ich habe ihr eine Packung Schwarzweißfilme gekauft, um sie damit zu überraschen, falls sie auftaucht. Vergeblich suchen meine Augen nach dem einzigen Mädchen weit und breit, das in Schlabberjeans herumläuft. Vergeblich spitze ich die Ohren, um ihre Adidassohlen über den Asphalt schlurfen zu hören. Ich gehe den Parkplatz entlang und halte Ausschau nach Gürkchen, entdecke dabei aber nur, dass der schwarze Teerboden heiß genug ist, um durch die Schuhsohlen hindurch meine Füße zu verbrennen. Natürlich könnte ich versuchen, das Haus ihrer Tante wiederzufinden, aber ich habe nicht auf den Weg geachtet, als ich Dylan dort absetzte. Kurz überlege ich sogar, ob ich den Dozenten des Fotografiekurses aufspüren und anbetteln soll, dass er mir ihren Nachnamen verrät.
Den ganzen Schreibkurs hindurch bin ich in Gedanken damit beschäftigt, mir selbst in den Hintern zu treten. Heute sollen wir ein Essay darüber schreiben, welche Person in letzter Zeit den größten Einfluss auf unser Leben hatte. Ganz im Ernst, Mrs Stiller wurde vom Schicksal gesandt, um mich zu quälen. Muss sie mir meinen bescheuerten Fehler so deutlich unter die Nase reiben? Am liebsten würde ich wie ein Footballer rübergrätschen und sie plätten. Während ich als erste Lektion eine Liste mit Charakterzügen der ausgewählten Person erstelle, wird mir peinlich bewusst, dass ich zu Dylan nicht einmal nett war. Die halbe Zeit habe ich versucht, ihr aus dem Weg zu gehen. Ich habe sie ungefähr so behandelt wie ein lästiges Stück Wundschorf, das man abpult und wegschnipst. Und als ich endlich den Mund aufgemacht habe, kam nur stinkender Müll heraus. Toller Typ. Kein Wunder, dass sie nicht mehr auf dem Campus herumhängt und auf mich wartet. Sie mag mich einfach nicht. Warum sollte sie auch? In letzter Zeit hatte ich den Spaßfaktor einer Begräbnisfeier.
Ich starre an die Decke, als mich diese Erkenntnis trifft. Die Wahrheit ist
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