Dylan & Gray
ganz offensichtlich. Dylan hat mir eine Chance gegeben, sie hat mir eine Vielzahl von Chancen gegeben – bis ihr endgültig klar wurde, dass ich ein asozialer Außenseiter bin. Das Leben ist zu kurz, um es mit Leuten zu verschwenden, die dich runterziehen, anstatt dich zu beflügeln. Solche Typen stehlen dir nur die Energie. Also hat Dylan mit ihrem Leben weitergemacht und sich anderen Leuten zugewandt. Menschen, die sie zum Lachen bringen und ihr das Gefühl geben, dass ihre Gegenwart erwünscht ist. Die ganze Zeit hatte ich Gelegenheit, sie näher kennenzulernen, und habe es total vermasselt.
Ich sinke auf meinem Stuhl zusammen. Was bin ich nur für ein dummes Arschloch. Dylan war anders als alle Mädchen, denen ich je begegnet bin. Und weil ich zu verbittert und feige war, habe ich sie mir durch die Finger gleiten lassen.
***
Nach dem Unterricht mache ich mich auf den Weg zu meinem Job im Videoladen. Ich fahre bei den Taco Boys vorbei, um mir ein Lunchpaket mitzunehmen, da sehe ich ein Reklameschild auf dem Dach. Es verkündet in fetten Blockbuchstaben: GRAY ’S SPECIAL – TORTILLA MIT HUHN ZUM ½ PREIS ! Auf dem Parkplatz steige ich aus und blinzele ungläubig zu dem Schild hoch. Als ich in das Schnellrestaurant gehe, ziehe ich meine Baseballkappe instinktiv tief ins Gesicht und schaue mich um, ob ich auch niemanden kenne. Ich schlendere auf den Tresen zu und dort neben der Kasse hängt für alle sichtbar Dylans alberner Brief in voller Dreiseitenlänge – gerahmt wie eine Siegerurkunde. Unterschrieben ist er zwischen Herzchen und Regenbögen in Schönschrift mit dem Namen Gray Thomas.
Mühsam klappe ich meine Kinnlade wieder hoch und stelle mich in der Schlange an. Ich halte den Kopf gesenkt, während jeder einzelne Gast vor mir nach Gray’s Special fragt. Als ich an der Reihe bin, bestelle ich mit unbewegter Miene zwei Tortillataschen mit Rindfleisch und eine Portion Nachos zum Mitnehmen. Die Kassiererin tippt gelangweilt alles ein und fragt nach meinem Namen, um mich aufrufen zu können. Ich bezahle, ohne ihr in die Augen zu schauen.
»Mike«, sage ich.
***
Ich hatte gehofft, dass die Arbeit mich ablenken würde. Wenn keine Kundschaft da ist, dürfen wir Filme gucken, und ich hatte eine hirnlose Komödie geplant. Die Indianer von Cleveland oder Der Rosarote Panther mit Steve Martin. Vielleicht würde mich auch ein Slasherfilm auf andere Gedanken bringen. Saw III . Oder ich könnte mich in meiner Depression wälzen. Schindlers Liste . Da wirken die eigenen Probleme doch gleich viel harmloser. Aber als ich mich pünktlich bei meinem Chef zur Arbeit melde, schickt mich Dillon (ein Name wie ein Küchenkraut) nach hinten ins Kabuff, um die neu eingetroffenen Filme mit Labeln zu versehen. Ich komme mir vor, als hätte der lokale TV -Sender allen verkündet, was für ein Riesenarschloch ich bin und dass ich das erstaunlichste Mädchen der Stadt habe sausen lassen, und nun soll ich dafür meine Strafe absitzen. Also hocke ich im Lagerraum, der eher einer Besenkammer ähnelt, und werde in der Enge von meinen Gedanken fast erdrückt.
Nach der Arbeit fahre ich mit selbstmörderischer Laune nach Hause und parke auf dem freien Stellplatz neben Moms Wagen. Mein Vater ist schon wieder auf Geschäftsreise. Ich habe ihn seit Wochen nicht gesehen. Mom arbeitet gewöhnlich bis zur Erschöpfung und hat zu Hause gerade noch Energie für eine Dusche, bevor sie um acht Uhr ins Koma fällt. Sie ist Geschichtslehrerin und hat früher die Sommerferien genutzt, um zu malen, Golf zu spielen und Familienausflüge zu planen (meistens zu historisch wertvollen Zielen von grausamer Langeweile). Aber damit ist es vorbei. Dieses Jahr gibt sie zwei Sommerkurse an der Highschool. Und zwei weitere am College. Hauptsache, sie ist abgelenkt.
Auf dem Küchentisch liegt eine Nachricht.
Hatte einen langen Tag und bin todmüde! Essen ist im Kühlschrank. Alles Liebe und gute Nacht – Mom.
Ich schaue auf die Uhr und seufze. Es ist 8:23 Uhr.
Ich setze mich auf die Couch in meinem Kellerzimmer und mampfe Pizzareste. Der Teig ist trocken, lauwarm und mit zementhartem Käse überzogen. Doch das stört mich nicht. Ich schmecke es sowieso kaum. Als ich gerade zwischen dem Sportkanal und Comedy Central hin- und herschalte, klopft es oben an der Haustür. Ich gehe hoch und öffne. Mein Magen hüpft mir bis zum Hals, als ich Dylan vor mir stehen sehe. Sie lächelt strahlend und hält einen Strauß flammend orange-roter Blumen in der
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