Dylan & Gray
fast zu einfach«, sagt sie.
Ich starte den Motor und wir fahren vom Parkplatz herunter. »Thunfisch, Eier und Wein?«, sage ich. »In einem Asia-Shop ist das vermutlich der merkwürdigste Einkauf des Jahrhunderts.«
Dylan zuckt mit den Schultern. »Na ja, ich wollte unauffällig sein«, sagt sie, »und habe mir überlegt, dass es merkwürdig aussieht, wenn ich nur Wein kaufe. Also habe ich versucht, mir vorzustellen, was eine Vierzigjährige in ihren Korb packen würde.«
Ich schüttele den Kopf und nenne sie ein echtes Genie. Dylan schreibt meiner Mom eine Karte, die wir vorher in Scottsdale ausgesucht haben. Jetzt müssen wir die Flasche und die Karte nur noch auf der Eingangstreppe hinterlassen. Ich biege in unsere Einfahrt ab, da Mom um diese Uhrzeit auf keinen Fall zu Hause ist. Dylan schaut sich um, ob uns niemand beobachtet (dabei würde sie in diesem Outfit sowieso kein Mensch erkennen), setzt hastig den Wein ab und sprintet geduckt zurück zum Wagen, als müsse sie Maschinengewehrfeuer ausweichen.
Eine um ihr Leben rennende Lady im Achtziger-Jeanslook sieht man auch nicht alle Tage.
»Okay«, sagt sie und wirft die Tür hinter sich zu. »Jetzt muss ich echt aus diesen Klamotten raus.« Sie zerrt an dem engen Kragen des Pullis. Ich nicke, denn ich bin sehr dafür, dass sie sich auszieht. Gerne würde ich ihr meine Hilfe anbieten.
Wir fahren zurück zu Dylans Sommerresidenz, wo sie in eine Jogginghose und ein ärmelloses Shirt schlüpft. Dann verschwindet sie fast eine halbe Stunde im Bad, wo sie versucht, die Schminke wieder abzuschrubben. Währenddessen liege ich auf dem Bett ihrer Tante, schalte zwischen TV -Programmen herum, denke über die vergangenen Stunden nach und schaffe es, langsam von den bittersüßen Ereignissen des Tages runterzukommen. Ich frage durch die Tür, ob Dylan schon Fortschritte macht. Sie ruft zurück, dass sich beim Make-up nichts rührt. Also stehe ich auf, klopfe vorsichtig an und schaue ins Bad. Dort steht Dylan und starrt mit gerunzelter Stirn in den Spiegel. Die Verkleidung ist fort und übrig bleibt nur dieses wunderhübsche Mädchen. Sie ist voller Sommersprossen, und ihre Augen haben die Farbe von Gold. Ich kann den Blick nicht von ihr abwenden. Selbst das Schlucken fällt mir schwer. Sie zieht eine beleidigte Flappe, ohne meine weichen Knie zu bemerken.
»Ja, ich weiß«, sagt sie und starrt auf ihre Lippen. »Sie sind immer noch pink.«
Ich gehe einen Schritt auf sie zu und nehme ihr den warmen, feuchten Waschlappen aus der Hand, der voller Schminkflecken ist. Fasziniert schaue ich auf ihre weichen Lippen, die von dem ganzen Schrubben ein bisschen geschwollen sind, und lasse zögernd meinen Daumen darüber fahren. Dylan erschauert bei der Berührung. Oder vielleicht zittert auch meine Hand. Ich umfasse ihr Kinn und schaue ihr in die Augen, und sie schenkt mir ein winziges Lächeln. Mehr brauche ich nicht als Einladung. Mein Blick huscht zurück zu ihrem Mund, der weich, warm und einladend aussieht.
Mein Herz schlägt wie verrückt.
Ich schließe die Augen, lehne mich vor, und unsere Lippen berühren sich. Wenn man bedenkt, wie dürr und schlaksig Dylan ist, wie übersprudelnd, verrückt und hyperaktiv, ist dieser Kuss unerwartet anders. Alles an ihr verlangsamt sich. Gleichzeitig scheint mein Körper auf Turbo zu schalten. Ihr Mund bewegt sich himmlisch geschmeidig und selbstbewusst.
Sie lässt sich Zeit. Und mit jeder Sekunde will ich mehr.
Dylan öffnet die Lippen und berührt mich mit der Zungenspitze. Mich durchschießt ein Wirrwarr von Gefühlen, pumpt durch meine Adern und brennt in meiner Brust. So etwas habe ich noch nie zuvor erlebt.
Ist das Liebe?
Wie auch immer man es nennt, auf jeden Fall ist es sehr real, eine erschreckende, verwirrende Erfahrung von mystischen Ausmaßen. Obwohl ich die Augen geschlossen habe, sehe ich Lichtfunken wie ein Feuerwerk.
Ich schlinge die Arme um Dylan und schmelze dahin. Ehrlich, ich könnte mein ganzes Leben damit verbringen, sie zu küssen.
***
Am Abend zu Hause dreht sich in meinem Kopf alles nur um eine Frage: Wann kann ich sie wieder küssen? Meine Gehirnzellen wollen sich mit nichts anderem beschäftigen als dem Kuss. Dieser Kuss sollte als nationaler Feiertag ausgerufen werden, so fantastisch war er. Ich will wissen, ob sie das Gleiche darüber denkt. Nicht gerade eine detaillierte Kritik, aber jedenfalls hat der Kuss für mich viel zu früh aufgehört. Ich will mehr. Und mehr und mehr.
Vielleicht könnte
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