Dylan & Gray
Schließlich sind wir nur kurzzeitige Besucher und in dieser Landschaft aus Giganten haben wir nicht mehr Bedeutung als ein Sandkorn. Also können wir genauso gut die Reise und die Aussicht genießen und aufhören, uns Gedanken zu machen.
Ich fühle mich geradezu schwerelos. Meinen die Leute diesen Zustand, wenn sie Sedona einen magischen Ort nennen? Hat der Vortex mir meine Gedanken zugeflüstert?
Hauchdünne Schleierwolken berühren die obersten Spitzen der roten Zinnen und grüne Bäume wachsen im Schatten des Canyons unter uns. In der Stille höre ich nur meine Atemzüge. Wir setzen uns auf die warme Steinebene, ziehen die Schuhe aus und essen unsere Sandwiches. Dabei flüstern wir uns manchmal etwas zu, aber vor allem lassen wir die Atmosphäre auf uns wirken und respektieren das Schweigen. Den Rest des Nachmittags liegen wir auf dem Felsplateau herum und dösen zufrieden in der Sonne. Selbst Gray gibt irgendwann mit gedämpfter Stimme zu, dass Heather’s Kliff eine heilsame Energie ausstrahlt.
Gray
Abends essen wir in einem Restaurant, das Red Planet heißt und sich ganz um das Motto Marsmenschen dreht. Die Kellnerin begrüßt uns als Erdlinge und reicht uns eine Plastikspeisekarte, die aussieht, als würde sie im Dunkeln leuchten. Ich bestelle mir ein Alien-Attack-Sandwich, spiralförmige Tornado-Fritten und einen Mondmilch-Shake. Dylan entscheidet sich für einen Neptun-Burrito. Wir trinken mit neongrünen Strohhalmen, während fluoreszierende Alienköpfe von der Decke auf uns herabstarren. Unser Tisch sieht aus wie ein Satellit und unsere Sitzplätze wie halbierte Plastikeier. Elektromusik wabert um uns herum, als wären wir in einem Super-Mario-Spiel gefangen.
Dylan findet das Restaurant cool. Ich finde es freakig. Wir einigen uns auf einen Kompromiss und nennen es frool.
Von den Stunden in der Sonne sind wir beide erhitzt und Dylan hat einen Hauch von Röte auf den Wangen und der Nasenspitze. Ob ihre Lippen wärmer sind als sonst? Ich brenne darauf, es herauszufinden. Bestimmt hat sie interessante Streifen am Körper, wo die Bräune aufhört. Man könnte die Linien mit dem Finger entlangfahren.
Als wir Sedona verlassen, ist der Abendhimmel von so tiefem Blau, dass es fast schwarz wirkt. Die roten Felsinseln verschwimmen in der Ferne zu grauen Formen und sehen aus wie Dinosaurier, die sich zum Schlafen zusammengerollt haben. Während wir durch die Landschaft fahren, fragt Dylan, worüber ich am Heather’s Kliff nachgedacht habe. Wir haben Stunden dort verbracht, und ich war ganz verblüfft, dass Dylan so lange schweigen kann. Sie hat zwar selten still gesessen – abwechselnd war sie damit beschäftigt, in ihr Notizbuch zu schreiben und die Pfade rund um den Vortex mit ihrer Kamera zu erkunden – , aber dabei hat sie kaum etwas gesagt.
Ich schaue aus dem Fenster und zögere mit der Antwort. Soll ich zugeben, woran ich den ganzen Tag gedacht habe? Wann immer Dylan sich auf den warmen Felsen zurückgelehnt und die Augen geschlossen hat, um die Sonne zu genießen, hing mein Blick an ihr. Und ich hatte eigentlich nur ein Thema im Kopf: Sex. Ist sie interessiert? Wann? Mit mir? Wir schlafen jede Nacht im gleichen Bett. Ich habe sie nackt gesehen. Aber weiter geht Dylan nie. Dabei schenkt sie mir bereitwillig alles andere. Ihre Geheimnisse. Ihre Seele. Doch das reicht mir nicht länger. Ich will sie mit Haut und Haaren und das Warten macht mich ganz verrückt.
Inzwischen denke ich alle zwei Sekunden daran, mit ihr Sex zu haben. Eine völlig gesunde männliche Reaktion, sage ich mir. In meiner Schreibtischschublade wartet eine Packung Kondome, die ich vor zwei Jahren gekauft habe. »Mit Liebesnoppen für anspruchsvolle Ladys«. Ungeöffnet. Ungeduldig auf den Einsatz wartend.
Ich behaupte, dass ich an gar nichts gedacht habe. Zum Meditieren soll man schließlich seinen Geist leeren.
»Und du?«, frage ich zurück. Sie zögert ebenfalls, aber dann antwortet sie, dass sie über meine Familie nachgedacht hat. Ich kann fühlen, wie die Stimmung im Wagen umschlägt. Dylans Stimme klingt ungewöhnlich ernst.
Automatisch gehe ich in Abwehrstellung. Wenn man sich auf Leute einlässt, bilden sie sich immer gleich ein, dass sie das Recht haben, sich in persönliche Probleme einzumischen. Das will ich nicht. Und ich brauche es auch nicht. Am allerwenigsten jetzt.
E rster Streit
Dylan
Ich platze mit der Frage heraus, bevor ich es mir anders überlege.
»Hattet ihr therapeutische Hilfe, nachdem Amanda
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